Logout unerwünscht

»Schön, dass Du Dich auf unserer Website eingeloggt hast! Wir werden Dich jetzt auf Schritt und Tritt mindestens so lange verfolgen, bis Du den versteckten Ausgang gefunden hast.«

Hand hält Vorhangschloss an einer Tür.
Um hier heraus zu kommen, muss man erst den Schlüssel finden. Aber der hängt nicht zwangsweise am Schlüsselbrett, sondern vielleicht auch im Sicherungskasten oder am Heizungsventil.

Einmal drinnen kommt man nie wieder raus. Dieses Motto scheint nicht nur Scientology, sondern auch mancher Website als Vorlage zu dienen. Login? »Ja, gerne!« Logout? »Was für ein Ding?«

Damals: Deine Sicherheit ist uns wichtig.

Nach Jahren im Web bin ich auf so vielen Internetseiten registriert, dass ich selbst immer wieder erstaunt bin, wo ich nicht überall einen Account habe. Erst letztes Jahr bin ich in meinem Datenberg namens Favoritensammlung auf ein vergessenes Diskussionsforum gestoßen, in dem ich mich schon 2003 registriert hatte. In der Zwischenzeit wurde Facebook gegründet, Apple hat sein erstes Smartphone vorgestellt und Neugeborene haben die Schulpflicht absolviert.

In solchen Foren und auch auf anderen Websites war damals noch die Kultur des Ein- und Ausloggens eine ganz andere als heute. Man rief eine Seite auf, gab Benutzername und Passwort ein, trieb sein Unwesen und meldete sich am Ende wieder ab. Auch dieser letzte Schritt war den Plattformen wichtig.

Wenn man sich nicht selbst abgemeldet hat, wurde man nach einer vorgegebenen Anzahl an Minuten automatisch rausgeworfen. Nicht selten habe ich in einem Diskussionsforum stundenlang an einem ellenlangen Beitrag gefeilt und beim Absenden wurde mir dann sinngemäß mitgeteilt: »Sorry, du Lahmarsch! Wir haben dich in der Zwischenzeit ausgeloggt. Wenn du uns wirklich mit deinem Geschreibsel langweilen willst, musst du dich neu einloggen und von vorne anfangen. Aber fasse dich diesmal kürzer oder schreibe gefälligst schneller, du Null!«

OK, das war jetzt zugegeben eine sehr freie Interpretation meinerseits. In der Regel waren die Meldungen minimalistisch, aber dafür maximal emotionslos. So blieb mir zumindest kurzfristig noch die Hoffnung, dass meine Texte irgendwo zwischengespeichert waren. Waren sie aber nicht. Aus diesem schwerwiegenden Jugendtrauma heraus sende ich bis heute keinen längeren Text mehr ab, ohne ihn davor in die Zwischenablage kopiert zu haben.

Wenn die Meldungen auf den Websites länger waren, appellierten sie oft an die Vernunft. Oft las man dann beim nächsten Einloggen etwas in der Form: »Du bitterböser Schlingel hast dich beim letzten Mal nicht ausgeloggt. Wenn du das in einem InternetcafĂ© machst, kann jeder in deinen Daten herumwühlen, sich darin suhlen wie eine Sau im Schlamm, dir deine Identität stehlen und generell dein gesamtes Leben sowie das deiner Nachkommen auf immer und ewig ruinieren.«

Meldung auf GMX bzgl. vergessenem Logout.
GMX ist noch ein Gentleman der alten Schule. Der Logout-Button prangt riesig rechts oben und wenn man ihn trotzdem nicht nutzt, gibt es beim nächsten Login Schelte.

Heute: Deine Daten sind uns wichtig.

Letztendlich war man als Nutzer voll darauf konditioniert, sich vor dem Datenschutz-Krampus zu fürchten, wenn man sich nicht immer brav ausloggt. Und dann wurde das ganze Konzept auf den Kopf gestellt und die Seitenbetreiber kümmern sich heute einen feuchten Kehricht darum, ob man sich abmeldet oder nicht. Wenn ich heute so manche Seite erst nach Monaten wieder besuche und dann feststelle, dass ich trotzdem noch eingeloggt bin, sehe ich schon die Rute im Browserfenster stehen. Und das passiert leider viel zu oft.

Natürlich trifft das nicht auf alle modernen Websites zu. Würde mein Online-Banking mich selbst nach Monaten nicht automatisch aus dem System werfen, sollte ich ernsthaft einen Bankwechsel in Erwägung ziehen. Aber gerade Plattformen wie Facebook, denen die frühere Forenkultur ihren Untergang zu verdanken hat, haben einen Wandel von einem Extrem ins andere vollzogen. Statt viel zu früh abgemeldet zu werden, wird man heute oft gar nicht mehr ausgeloggt.

Und das ist nachvollziehbar. Immerhin wollen solche Plattformen nur unser Bestes (haben), nämlich unsere Daten. Auch wenn ich Facebook im Moment nicht besuche, befindet sich doch auf den meisten Internetseiten irgendein eingebetteter Unfug, der Informationen an Facebook sendet. Und wenn ich bei Facebook nicht ausgeloggt bin, lassen sich diese Informationen ganz bequem mit meinem Account verknüpfen. Natürlich würden Facebook und Konsorten auch Wege finden, mich im ausgeloggten Zustand wiederzuerkennen; Aber warum so kompliziert, wenn man auch alles am Silbertablett haben kann?

Weil das automatische Abmelden oft ärgerlich war, freut man sich als Nutzer womöglich sogar darüber, wenn man wie ein Datenrind gemolken wird. Einmal registriert, für immer eingeloggt. Endlich kein mühsames An- und Abmelden mehr! Das ist wie ein Vorhang als Wohnungstür: Maximal bequem, aber auch maximal unsicher. Jeder, der an Dein Gerät herankommt, kann sich freudig quiekend und grunzend in Deinen Daten suhlen und all Deine Trüffel fressen.

Ausgang: Dritte Seitentür links im Hinterzimmer 4.

Wenn einem das System die Arbeit nicht abnimmt, muss man zwangsweise selbst Hand anlegen. Eine Funktion, die man nach jedem Besuch nutzen soll, müsste eigentlich unmittelbar erreichbar sein. Ist sie aber nicht. In der Regel findet man die Abmeldefunktion in einem Untermenü gemeinsam mit diversen Einstellungen, die man als Durchschnittsnutzer mit viel Fantasie vielleicht drei Mal im ganzen Leben benötigt. Nein, LinkedIn, ich will nicht auf ein chinesisches Interface wechseln – ich will mich ausloggen!

Einen ähnlichen Weg hatte kurzfristig ja sogar Microsoft mit Windows 8 eingeschlagen. Da hatten Nutzer Windows jahrelang ausgelacht, weil man zum Beenden auf »Start« klicken musste und dann fiel den Entwicklern nichts Besseres ein als die Funktion zum Herunterfahren stattdessen in die Einstellungen zu verschieben, wo erst recht niemand danach sucht.

Zumindest eine Konvention hat sich aber weitgehend durchgesetzt: Das Abmelden befindet sich in solchen Menüs meistens an der letzten Stelle. Das ist deshalb wichtig, weil man sich den ersten und den letzten Punkt eines Menüs am leichtesten merkt und am einfachsten auswählen kann.

Menüs von LinkedIn und XING, die Logout-Funktion enthalten.
LinkedIn und XING positionieren ihre Logout-Funktion in einem Menü gemeinsam mit Kraut und Rüben – aber immerhin an prominenter letzter Stelle. (Die farbliche Unterlegung kommt in beiden Fällen nur daher, dass die Maus gerade über dem Menüpunkt steht.)

Bei Facebook war das damals auch so. 2015 wurde das dann plötzlich geändert und der unterste Punkt hieß plötzlich »Ein Problem melden«. Irgendwie war diese Bezeichnung ja passend. Da ich von diesem Tag an nach jedem Facebookbesuch irrtümlich auf diesen Menüpunkt geklickt habe, hätte ich glatt diese Problemmeldefunktion selbst als Problem melden sollen. Mittlerweile ist Facebook aber auch ohne mein zynisches Feedback wieder zurückgerudert. Heute ist »Abmelden« wieder der letzte Menüpunkt.

Zwei Varianten des Facebook-Menüs.
Facebooks Menü in den Jahren 2015 (links) und 2018 (rechts, farbliche Hervorhebung wieder durch Maus). Die seltsam angezeigte, aber in Wahrheit nicht existierende Meldung in meinem Support-Postfach hat mich 2015 zusätzlich in die Irre geführt.

Andere Branchenriesen brechen aber nach wie vor mit der Konvention. YouTube packt das Abmelden irgendwo zwischen etliche andere Punkte und Twitter geht offenbar davon aus, dass ich 24 Stunden am Tag twittere und deshalb öfters zwischen Tag- und Nachtmodus wechsle als mich abzumelden. Aber wenigstens kann man beiden zugute halten, dass sie ihr Menü unterteilt haben und »Abmelden« zumindest innerhalb des Abschnitts jeweils der letzte Punkt ist. Man wird bescheiden.

Menüs von YouTube und Twitter.
YouTube und Twitter sind so groß, dass sie über Quasi-Normen nur lachen können. »Abmelden? Wer braucht das schon? Das packen wir irgendwo in die Mitte. Was die Leute wirklich brauchen, ist ein Nachtmodus (alias Dunkles Design) für Konsum rund um die Uhr.« (Farbunterlegung wie immer durch Mouseover.)

Auf Amazon findet man den Ausgang zwar an der erwarteten Stelle ganz unten, dafür ist aber die Formulierung an Unverschämtheit kaum zu übertreffen. »Nicht Michael? Abmelden«, wird mir hier gesagt. Ich bin sehr wohl Michael, aber es ist verdammt nochmal mein gutes Recht mich abzumelden. Noch direkter könnte man mir kaum mitteilen, dass mein Logout unerwünscht ist.

Amazons Abmeldefunktion mit der Formulierung: Nicht Michael? Abmelden.
Amazon würde mich ja gerne gehen lassen. Aber dazu muss ich erst aufs Amt, um einen neuen Vornamen zu beantragen.

Hufschmiede, Lochkarten und Internetcafés

Ja, zumindest eines muss ich zugeben: Die Zeiten haben sich geändert. Dass Du heute noch in ein InternetcafĂ© gehst, wo Du Dich an irgendeinen PC setzt, sodass dann der nächste Gast seinen Rüssel in Deine Angelegenheiten stecken kann, ist unwahrscheinlich. Heute hat in unserem Kulturkreis fast jeder mindestens ein eigenes Gerät mit Internetzugang. Und die meisten dieser Geräte sind Smartphones, ohne die der moderne Mensch ohnehin keinen Fuß mehr aus dem Bett macht.

Aber vielleicht ist gerade das ein Grund, warum man sich heute wieder regelmäßig von diversen Diensten abmelden sollte. An den PC daheim in meinem Single-Haushalt kommt selten jemand heran, aber ein handliches Smartphone wandert im Lauf des Tages gelegentlich durch fremde Hände. Da zeigt man nur mal jemandem ein lustiges Katzenvideo oder 460 Fotos vom letzten Badeurlaub und – schwupps – schon schaut derjenige sich stattdessen an, was Du für schmutzige Privatgespräche auf Facebook führst. So eine Schweinerei aber auch.

Kommentare

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Tony T, 2018-02-16 17:32:

Sehr interessant, gefällt mir! :) Ich finds durchaus unheimlich, wie stark die einzelnen Seiten/Dienste mittlerweile miteinander verknüpft sind. Letztens hat sich mein Bruder was auf Amazon gekauft, kurze Zeit später krieg ich ein E-Mail, das mir genau dieses Produkt vorschlägt^^

Bisherige Kommentare

  • Tony T

    Sehr interessant, gefällt mir! :) Ich finds durchaus unheimlich, wie stark die einzelnen Seiten/Dienste mittlerweile miteinander verknüpft sind. Letztens hat sich mein Bruder was auf Amazon gekauft, kurze Zeit später krieg ich ein E-Mail, das mir genau dieses Produkt vorschlägt^^

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Tony T:

      Also da würde mir auch ein kalter Schauer den Rücken hinunter laufen. Ich fand es schon verstörend, als mir das erste Mal auf einer Seite Produkte empfohlen wurden, die ich mir davor auf einer ganz anderen Website angeschaut hatte. Wenn das jetzt auch noch über den Umweg persönlicher Kontakte läuft … brrr, ich will gar nicht daran denken!

      • Nessa

        Antwort an Michael Treml:

        Mein Freund und ich haben inzwischen festgestellt, dass er Videos, die ich sah, vorgeschlagen bekommt und umgekehrt, obwohl wir beide komplett unterschiedliche Videos sehen. Das ist dann doch irgendwie merkwürdig, da wir nicht mal auf Facebook in einer Beziehung sind oder ähnliches, sondern uns lediglich gemeinsam in einer Wohnung aufhalten und ein W-Lan Netzwerk gemeinsam nutzen.

        • Michael Treml (Seitenbetreiber)

          Antwort an Nessa:

          Das kann ich mir ganz gut vorstellen. Bei gemeinsamer Nutzung eines WLAN müsste man auch eine gemeinsame IP-Adresse haben. Diese Kenn-Nummer ist praktisch das Standard-Identifikationsmerkmal für nicht-eingeloggte Benutzer – aber nicht ganz zuverlässig, weil sich eben auch mehrere Personen dahinter befinden können. Es kann also sein, dass diese gegenseitige Video-Empfehlung vom Seitenbetreiber gar nicht so geplant ist.