Meine Großcousinen sind meine Tanten und Nichten

Keine Sorge – in diesem Artikel geht es nicht um blaublütige Liebesbeziehungen, sondern um unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dasselbe Verwandtschaftsverhältnis.

Typischer Stammbaum über vier Generationen mit einfachen Strichzeichnungen für einzelne Personen.
Erst nach dem Zusammenbasteln dieses Stammbaums ist mir aufgefallen, dass die Bilder, die ich für die jüngsten Eltern verwende, offenbar Kinder darstellen sollen. Aber ich schwöre: In diesem Artikel geht es wirklich um nichts Verwerfliches!

Seit meiner Geburt habe ich mehrere Großcousinen. Schon bald nach meiner Geburt, also so knapp 30 Jahre später, hatte ich allerdings damit angefangen, den Begriff »Großcousine« infrage zu stellen – und das nicht nur, weil ich als hochgewachsener Mann mittlerweile auf diese »großen« Cousinen hinunter schauen konnte.

Seit letztem Jahr ist das Chaos komplett: Jetzt habe ich auch eine Großcousine, die in einem komplett anderen Verwandtschaftsverhältnis zu mir steht als alle anderen Großcousinen. Höchste Zeit, den Irrsinn rund um dieses Wort einmal schriftlich aufzuarbeiten.

Verwandtschaftsverhältnisse sind einfach

Es klingt vielleicht überraschend, aber Verwandtschaftsverhältnisse folgen im Deutschen einer sehr einfachen Logik. Für alle Verwandten jeweils einer Generation gibt es eine einheitliche Bezeichnung.

Weibliche Verwandte meiner eigenen Generation sind immer Cousinen. In der Generation darüber sind es immer Tanten und in der Generation darunter immer Nichten. Geht man noch eine Generation weiter, hängt man einfach ein »Groß-« vor die Tanten und Nichten und für jede weitere Generation hängt man noch zusätzlich die Silbe »Ur-« an.

GenerationWeibliche VerwandteMännliche Verwandte
UrgroßelternUrgroßtantenUrgroßonkel
GroßelternGroßtantenGroßonkel
ElternTantenOnkel
IchCousinenCousins
KinderNichtenNeffen
EnkelGroßnichtenGroßneffen
UrenkelUrgroßnichtenUrgroßneffen

Je nachdem, wie weit man suchen muss, um einen gemeinsamen Vorfahren zu finden, kann man dann mitunter noch einen Zusatz wie »zweiten Grades« anhängen, aber sowohl für den Alltag als auch für diesen Artikel ist das kaum von Bedeutung. Wer grüßt schon eine Verwandte mit »Hallo Tante zweiten Grades Agathe«?

Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass selbst die eigene Schwester als Verwandte der eigenen Generation nur eine »Cousine nullten Grades« ist. Genauso wäre etwa die Mutter eine »Tante nullten Grades« und so weiter. Nennt natürlich niemand so, zeigt aber deutlich, wie einfach und logisch Verwandtschaftsverhältnisse sind.

Fast jede Verwandte ist meine Großcousine

Wie passt nun die Großcousine in dieses Schema? Tja, genaugenommen gar nicht, aber dazu in Kürze mehr. Sehen wir uns erst einmal an, wie der Begriff »Großcousine« definiert ist!

Laut Duden ist eine Großcousine eine Cousine zweiten Grades. Diese Definition passt aber zum einen nicht auf meine Verwandten, die mir als Großcousinen verkauft werden, und zum zweiten gilt für mich als Österreicher ohnehin nicht der Duden, sondern das österreichische Wörterbuch. Im Gegensatz zum Duden ist dieses allerdings nicht online verfügbar und die alte Schulversion, die ich daheim habe, kennt Großcousinen überhaupt nicht.

Ausschnitt aus Wörterbuch. Auf das Wort »Großbuchstabe« folgt unmittelbar »Größe«.
Großcousinen sind ein Gerücht – zumindest wenn es nach meinem österreichischen Wörterbuch aus dem Jahr 1990 geht.

Mehrere Quellen im Web weisen darauf hin, dass der Begriff in der Praxis ganz unterschiedliche Dinge bedeuten kann. Das Heraldik-Wiki führt folgende Bedeutungen an:

  • Cousine 2. Grades
  • Tante 2. Grades
  • Nichte 2. Grades
  • Cousine unbekannten Grades
  • Nichte unbekannten Grades

In diesem Sammelsurium finde ich auch die passenden Definitionen für meine eigenen Großcousinen wieder. Aber die Vielfalt an Möglichkeiten vermittelt den Eindruck, als wäre es vor allem ein Bequemlichkeitsausdruck, so nach dem Motto: »Ich habe keine Ahnung, wie wir verwandt sind, also nenne ich dich einfach Großcousine.«

Großcousinen und die Logik

Bei all diesen unterschiedlichen Bedeutungen ist es kein Wunder, dass der Begriff »Großcousine« oft für Verwirrung sorgt und deshalb auch oft diskutiert wird. Auf gutefrage.net bemerkt ein Benutzer namens heinmueck treffend: »der Begriff ist schon in sich widersprüchlich«. Cousinen sind ja Verwandte der eigenen Generation. Die vorangestellte Silbe »Groß-« beschreibt dagegen, wie man in der Tabelle oben sieht, Personen mit zwei Generationen Abstand. Das passt offensichtlich nicht zusammen.

Man könnte das Ganze noch aus einer anderen Perspektive betrachten, indem man sagt, dass ein vorangestelltes »Groß-« grundsätzlich Verwandte der eigenen Eltern oder Kinder bezeichnet. Großmütter und Großtanten sind schließlich Mütter und Tanten meiner Eltern. Und Großnichten sind Nichten meiner Kinder.

Allerdings funktioniert diese Benennung nur sehr eingeschränkt. Sonst könnte ich nämlich auch allgemeingültig sagen: Nachdem die Nichte meines Kindes meine Großnichte ist, muss die Mutter meines Kindes meine Großmutter sein.

Großcousinen kann man grundsätzlich schon nach dieser Logik definieren, allerdings beschreibt der Begriff dann nicht so ein eindeutiges Verwandtschaftsverhältnis wie etwa »Großtante« oder »Großnichte«. Großtanten sind immer Tanten der Eltern und für diese Großtanten bin ich im Gegenzug ein Großneffe. Für meine Großcousins und Großcousinen bin ich allerdings ebenso ein Großcousin, obwohl wir nicht zur selben Generation gehören.

Veranschaulichung der Verwandtschaftsverhältnisse einer jungen Frau. Eine Verwandte in ihrer Großelterngeneration ist ihre Großtante, für die sie wiederum eine Großnichte ist. Zu einer Verwandten der Elterngeneration besteht dagegen wechselseitig das Verhältnis »Großcousine«.
Wenn sich zwei Frauen als Großcousinen bezeichnen, geht daraus nicht hervor, welche der beiden der älteren Generation angehört.

Das erklärt auch das eingangs erwähnte Chaos mit meiner jüngsten Großcousine. Als ich geboren wurde, waren alle meine Großcousinen Tanten zweiten Grades. Letztes Jahr gab es in meiner Familie aber Nachwuchs und ich habe nun erstmals auch eine Nichte zweiten Grades – und die gilt ebenso als meine Großcousine.

Wenn das noch immer nicht verwirrend genug ist, kommt zumindest in meinem Umfeld aus Bequemlichkeit noch eine weitere Verschlimmerung hinzu: Um sich den sperrigen Begriff »Großcousine« zu ersparen, wird er gelegentlich zu »Cousine« verkürzt. Damit ist das Chaos komplett.

Aber keine Sorge: Falls Du in den letzten paar Textabsätzen den Überblick verloren hast, fasst das die Kernaussage ausgezeichnet zusammen: Der Begriff »Großcousine« macht die eigentlich so einfachen Verwandtschaftsverhältnisse unnötig kompliziert.

Tanten sind lieber Cousinen

Es könnte so einfach sein, aber wie so oft im Leben stößt man mit nüchterner Logik nicht unbedingt auf Gegenliebe. Meiner ältesten »Großcousine« habe ich schon einmal erklärt, dass sie eigentlich meine Tante zweiten Grades ist. Ihre Begeisterung darüber hatte sich in Grenzen gehalten – in sehr, sehr engen Grenzen.

Warum das wohl so ist? Meine erste Vermutung liegt ja darin, dass »Cousine« naturgemäß deutlich jünger klingt als »Tante«. Ich habe zwar auch Großcousins, aber von denen höre ich aus irgendeinem Grund deutlich weniger und weiß daher nicht, wie die sich nennen würden. Jugendsüchtige Frauen, schweigsame Männer, … ohne dichtere Faktenlage sollte ich diese Gedanken jedenfalls nicht fortführen, sonst komme ich noch aufs Radar der Gender-Polizei.

Ein anderer Grund könnte sein, dass »Tante« und »Onkel« in der Umgangssprache auch als abwertende Begriffe für unliebsame Personen verwendet werden. »Cousine« und »Cousin« sind neutraler.

Ich selbst bin jedenfalls lieber ein Onkel als ein Cousin. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich schon immer ein großer Fan von Onkel Dagobert war. Wenn ich schon nicht die reichste Ente der Welt bin, kann ich zumindest ein knausriger, alter Onkel werden.

Verschobene Generationen

Eine Sache bezüglich Logik fällt zugegeben auch mir schwer: nämlich Familiengenerationen und das Alter strikt voneinander zu trennen. Dass Cousinen und Cousins im Stammbaum zur gleichen Generation gehören wie ich, muss nämlich nicht zwangsläufig heißen, dass wir in etwa gleich alt sind.

Manche Personen werden sehr früh Eltern, andere sehr spät. Das kann zu eklatanten Verschiebungen führen. Wenn ich meinen eigenen Stammbaum richtig im Kopf habe, dann habe ich eine Tante zweiten Grades, die jünger ist als ich. Spätestens da fühlt es sich selbst für mich auf den ersten Blick richtiger an, sie als Großcousine zu bezeichnen.

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