Wir sollten nicht auf das hören, was wir hören, sondern auf das, was gemeint ist

Was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache. Nicht jeder, der vermeintlich Schlimmes sagt, meint auch Schlimmes.

Frau, die sich verzweifelt an die Schläfen greift, und ein verwirrt-aufgebrachter Mann.
»Wie kannst Du mir das nur antun?« – »Verdammt, was redest du? Ich hab’ dich doch nur nach dem Wetter gefragt!« … Missverständnisse sind alltäglich, aber manche Leute scheinen aus Prinzip immer das Schlechtestmögliche zu verstehen. (Bildquelle: georgerudy auf Adobe Stock)

Diskussionen im Internet gibt es nicht erst, seit der Begriff »Soziale Medien« im Wörterbuch steht. Schon um die Jahrtausendwende herum war das Web voll von Diskussionsforen, in denen großteils wildfremde Leute nicht bloß fachlich miteinander diskutierten, sondern sich gelegentlich auch verbal die Schädel einschlugen.

In einem solchen Wortgefecht, das ich damals als Unbeteiligter mitgelesen hatte, ist mir zum ersten mal etwas Interessantes aufgefallen: Die beiden Streithälse attackierten die Meinung des jeweils anderen, obwohl beide offensichtlich die gleiche hatten. Der einzige Unterschied lag in ihrer Verwendung wichtiger Schlüsselbegriffe; sie sagten zwar unterschiedliche Dinge, meinten aber die gleichen. Anders ausgedrückt: Sie redeten komplett aneinander vorbei.

Erschreckenderweise ist so etwas aber nicht nur kein Einzelfall, sondern scheint immer mehr zum Standard zu werden. Der Schwenk weg von Diskussionsforen, hin zu sogenannten »sozialen Medien«, hat dieser Entwicklung wahrscheinlich auch einen Bärendienst erwiesen – macht doch schon der Name deutlich, dass nicht mehr sachliche Diskussionen im Mittelpunkt stehen, sondern Emotionen. Mit dem Sammeln von Likes schafft man sich eine Echokammer für einfache, einseitige Meinungen, während alberne Zeichen- und Platzbeschränkungen einem kaum noch den Raum geben, um ein Thema differenziert zu betrachten und im Detail zu erklären, was man wirklich meint.

Links ein Forenbeitrag über 19 Textzeilen. Rechts: Ein Twitter-Beitrag über elf Textzeilen, aufgeteilt auf drei einzelne Tweets.
Links ein Beitrag in einem Diskussionsforum, rechts ein Beitrag auf Twitter. Im Diskussionsforum bringe ich neben dem Kernthema problemlos Detail-Erklärungen unter und kann die bis dahin kritische Stimmung etwas aufhellen – im »sozialen« Netzwerk kann ich dagegen nicht einmal das Wesentlichste aus einem meiner Artikel posten, ohne mehrere Tweets aneinander stückeln zu müssen.

Den Gipfel dieses Eisberges bildet wahrscheinlich die überbordende politische Korrektheit, die sich oft auf das Verbot einzelner Begriffe festnagelt, ohne den Kontext zu beachten, in dem diese verwendet werden.

Was ist schon normal?

Ich weiß nicht mehr, worum es in der Diskussion damals ging, aber nehmen wir als konkretes Beispiel einmal die Frage: Ist Homosexualität normal? »Selbstverständlich«, würden viele sofort sagen und manche würden einen sogar kreuzigen, vierteilen und auf den Scheiterhaufen werfen, wenn man es auch nur wagt, diese Frage zu stellen.

Aber was bedeutet eigentlich »normal«? Der Duden kennt vier verschiedene Definitionen für dieses Wort, wobei eine davon auf den Begriff »Norm« verweist, der seinerseits sieben verschiedene Definitionen hat. Und die wenigsten Leute, die dieses Wort verwenden, werden davor erst ein Wörterbuch konsultieren. Da ist es fast schon verwegen, davon auszugehen, dass mein Gegenüber genau das Gleiche meint wie ich.

Normal kann etwas unter anderem dann sein, wenn es dem Durchschnitt entspricht. Das trifft auf Minderheiten naturgemäß niemals zu – andernfalls wären sie ja keine Minderheiten. Das Wichtige an dieser Interpretation: Sie ist eine sachliche, statistische Aussage und beinhaltet kein Werturteil. Dass etwas nicht normal ist, macht es nicht automatisch schlecht. Auch ein vierblättriges Kleeblatt ist nicht normal … und gilt gerade deshalb als Glückssymbol.

Eine Menge dreiblättriger Klee und ein großes Exemplar mit vier Blättern.
Du vierblättriger Klee bist ja nicht normal! (Bildquelle: Tülay Kersken, CC BY-SA 4.0, Bild beschnitten)

Natürlich gibt es auch andere Definitionen und der Duden weist explizit darauf hin, dass »normal« in wertender Bedeutung nicht mehr zeitgemäß ist und nicht mehr verwendet werden sollte. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte man es als gebildeter Mensch daher vermeiden, im Zusammenhang mit Menschen von »normal« zu reden; aber woher will man ohne hellseherische Fähigkeiten wissen, wie jemand anders – insbesondere eine wildfremde Person im Internet – dieses Wort meint?

Verwerfliche Begriffe ohne Kontext

Um zu erkennen, was ein Gesprächspartner wirklich mitteilen will, ist der inhaltliche Kontext essentiell. »Das zahlt sich finanziell nicht aus, weil deine Anforderungen nicht normal sind« und »du bist ja nicht normal im Kopf« sind zwei Aussagen, in denen das Wort »normal« wahrscheinlich sehr unterschiedlich zu verstehen ist.

Ein anderes Beispiel: In meinem beruflichen Umfeld begegnet mir regelmäßig die Formulierung »Menschen mit Behinderungen«, die man statt »Behinderte« benutzen soll. Die Argumentation dahinter: Es sei der Mensch, der im Mittelpunkt steht, nicht die Behinderung. Diese Begründung finde ich aber unsinnig, denn was im Zentrum steht, wird nicht vom Begriff selbst vorgegeben, sondern von seinem Kontext. Wenn man etwa über Rollstühle und Krücken redet, dann geht es sehr wohl mehr um die Behinderung als um ein allgemeines Menschsein. Stünde die Behinderung nicht im Mittelpunkt, hätte ich in der Regel ja gar keinen Grund, sie zu erwähnen.

Lässt man die Mensch-im-Mittelpunkt-Argumentation gelten, stellt sich außerdem die Frage, warum das nicht für alle Menschenbezeichnungen gleichermaßen gilt. »Mensch mit Migrationshintergrund« geht noch in eine ähnliche Richtung, aber einen Straßenkehrer bezeichnet niemand als »Mensch mit Straßenkehrhintergrund«, obwohl man davon ausgehen kann, dass sich kaum ein Straßenkehrer über seinen Job definiert.

Ein besseres Argument gegen das Wort »Behinderte« ist wahrscheinlich das folgende: Behinderungen sind so vielfältig, dass es nur selten sinnvoll ist, sie unter einem einzigen Begriff zusammenzufassen. Wer trotzdem von »Behinderten« spricht, verbreitet deshalb oft unzulässige Verallgemeinerungen … aber wohlgemerkt nicht immer. An der Aussage »man kann nicht alle Behinderten in einen Topf werfen« gibt es rein inhaltlich wohl nichts auszusetzen, an »alle Behinderten brauchen einen Vormund« dagegen schon.

Pflasterstein-Fläche mit Rollstuhlsymbol am Boden und einem Schild, das ein großes P und ebenfalls ein Rollstuhl-Symbol zeigt.
Sogenannte Behindertenparkplätze werden mit einem Rollstuhl-Symbol ausgezeichnet, das in Wahrheit nur wenige Behinderungen treffend bebildert. (Bildquelle: Globetrotter19, CC BY-SA 3.0, Bild beschnitten)

Während der Kontext auf der einen Seite gerne ignoriert wird, kommen auf der anderen Seite auch Leute auf die makabere Idee, in bestimmte Kontexte Dinge hinein zu interpretieren, die dort nie vorhanden waren. Insbesondere werden die Farben Schwarz und Weiß heute gerne in jedem noch so abstrusen Zusammenhang als Hautfarben interpretiert. So hatten unlängst mehrere Softwareunternehmen ihre schwarzen Listen (Blacklist) in Blockierlisten (Blocklist) umbenannt.

Mir persönlich ist es ja ganz im Gegenteil ein Rätsel, warum sich bei all der Sensibilität um politische Korrektheit ausgerechnet die Bezeichnungen »schwarz« und »weiß« für Hauttypen durchsetzen konnten. Unsere Haut hat ein buntes Spektrum an Farbtönen von dunklem Braun bis zu blassem Rosa, aber Schwarz und Weiß sind mir bis heute noch nirgends untergekommen.

Fotos von Donald Trump und Barack Obama, jeweils mit einem kleinen, ausgeschnittenen Bereich auf der Stirn, der eine relativ einheitliche Farbe hat. Diese Farben werden anschließend auf größeren Flächen gegenübergestellt und auch in Graustufen dargestellt, was zeigt, dass Trumps Hautton dunkler ist als jener von Obama.
Ich habe diesen beiden Herren jeweils ein Stück mit möglichst einheitlicher Hautfarbe – ohne Licht und Schatten – aus der Stirn geschnitten, weichgezeichnet, vergrößert und in Graustufen übersetzt. Wer von den beiden sollte nochmal als schwarz oder weiß gelten? (Disclaimer: Beim Stirn-Beschneiden sind keine Ex-Präsidenten zu Schaden gekommen) (Original-Bildquellen: Trump: Roman Kubanskiy, CC BY-SA 2.0; Obama: Jatkins, Public Domain)

Das Wort, das man nicht nennen darf

»Irgendjemand hat irgendetwas gesagt« – sinngemäß so klang für mich ein Nachrichtenvideo, in das ich vor einigen Jahren irgendwie hineingeraten war. Der Name des Übeltäters war mir unbekannt und ich konnte mir vorerst nur zusammenreimen, dass er das Schrecklichste überhaupt verbrochen haben musste, denn in feinster Voldemort-Manier wollte es niemand beim Namen nennen. Stattdessen war es bloß »das N-Wort«.

Nach ein wenig Zuhören konnte ich mir dann zwar erschließen, was sinngemäß gemeint war; was nun aber wirklich ganz konkret »das N-Wort« sein sollte, war mir nach wie vor unklar. Neger? Nigger? Negride?

Zudem hatte mich irritiert, dass erwachsene, gebildete Menschen es nicht nur wie in einem Buch über Kinderzauberer vermeiden, etwas beim Namen zu nennen, sondern das dann auch noch mit so einem Kindergarten-Wort umschreiben – so, als ob man in seinem Wortschatz nur ein einziges unartiges Wort hätte, das mit N beginnt. Was ist mit Nutte, Nulpe, Nudelaug und Nazi? Gerade das letzte dieser Wörter sollte im deutschsprachigen Raum wesentlich schwerer wiegen als das sogenannte N-Wort, wird aber inflationär jedem an den Kopf geworfen, der nur einen Millimeter von der eigenen Meinung abweicht.

Offenbar hat man hier vollkommen unreflektiert einen Begriff aus den USA übernommen. In Übersee ergibt das vielleicht Sinn, aber wir im DACH-Raum haben weder einen sonderlich großen dunkelhäutigen Bevölkerungsanteil noch die gleiche Vorgeschichte in Sachen Sklaverei. Wir erfassen im Gegensatz zu den USA auch keine Hautfarben auf offiziellen Formularen und selbst wenn es bei uns mal systematische Unterdrückung gibt, ist zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass man von einem Sheriff niedergeschossen oder in eine überfüllte Nichtbesserungs-Anstalt gesteckt wird, ungleich geringer.

Screenshot aus einem englischsprachigen Formular, in dem man seine »Ethnicity« und seine »Race« auswählen soll.
Die Frage nach der »Rasse« ist in den USA so alltäglich wie jene nach dem Alter (hier aus einem Antragsformular für eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung). Bei uns erinnert das mitunter an sehr unrühmliche Zeiten, trotzdem übernehmen wir unreflektiert Gewohnheiten rund um Ethnien aus dieser offensichtlich komplett anderen Kultur.

Klar gibt es auch bei uns Rassismus, aber dieser hat in den meisten Fällen ein ganz anderes Gesicht, weil unsere Bevölkerung anders zusammengesetzt ist. Hautfarbe ist nur ein winziger Teil davon. Sprachkenntnisse, Akzente, fremd klingende Namen und Kopftücher sind bei uns viel größere Themen. Die beispiellose Achtung des N-Wortes wirkt da ziemlich unverhältnismäßig.

Wie schon zuvor, ist natürlich auch das keine Einladung, den damit ersetzten Ausdruck leichtfertig zu verwenden. Aber wenn man ihn nicht einmal mehr in einem zurecht kritisierten Zitat wiedergeben darf, ist man übers Ziel hinausgeschossen.

Eine Frage der Kultur

Irgendwie ist es auch ironisch, wenn man ausgerechnet in seinen Bemühungen gegen Rassismus wenig Feingefühl in Bezug auf kulturelle Unterschiede unter Beweis stellt. Undurchdachte Ideologie-Importe aus dem »Land of the Free« – mit den meisten Gefängnisinsassen weltweit – bilden da nur die Spitze des Eisberges.

Ich als gebürtiger Wiener habe generell ein etwas gespaltenes Verhältnis zu politischer Korrektheit, weil diese in großen Teilen so gar nicht zu der Kultur passt, mit der ich aufgewachsen bin. Museos.com beschreibt sehr treffend den charakteristischen Wiener Schmäh: »Er wirkt anfangs etwas grausam, ist aber eigentlich tiefgründig und meist viel freundlicher gemeint.«

Gerade wegen dieses Schmähs juckt es mich in den Fingern, die Behauptung aufzustellen, dass politische Korrektheit in der Regel das exakte Gegenstück dazu ist: Sie wirkt anfangs total korrekt, ist aber eigentlich oberflächlich und nur als Stütze fürs eigene Ego gemeint.

Im Teenager-Alter war mein Wiener Schmäh vorübergehend auch eine Symbiose mit jugendlichen Kraftausdrücken eingegangen. Da war es ganz alltäglich, dass mein Sitznachbar und ich uns ständig gegenseitig geneckt und als »Trottel« und »Krüppel« bezeichnet hatten, ohne das in irgendeiner Weise beleidigend zu meinen. Mittlerweile drücke ich selbst mich zwar gewählter aus, aber ein liebevolles »Trottel« höre ich auch heute noch manchmal unter reiferen Erwachsenen.

Die überkorrekte Wortklauberei, die ich in meinem heutigen Umfeld oft vorfinde, ist ein Sprung von einem Extrem ins andere. Und Extreme sind selten etwas Gutes.

Selbst in der als spießig geltenden Hochkultur finden sich hie und da derbe Ausdrücke. Manche davon hatten zu ihrer Zeit vielleicht nicht dieselbe Bedeutung wie heute, aber als Goethe das Götz-Zitat in die Welt setzte, meinte er es sicher genau so, wie man es auch heute noch versteht. Und Mozart hatte demselben Spruch gleich einen eigenen Kanon gewidmet.

Reliefskulptur eines Ritters, darunter in Großbuchstaben der Spruch »Er aber sags ihm er kann mich am Arsch lecken«.
Götz von Berlichingen mit dem legendären Zitat (leicht abgewandelt … und Satzzeichen waren offenbar auch schon ausverkauft). (Bildquelle: Immanuel Giel, gemeinfrei)

Im Musikunterricht hätte es unsere jugendliche Einstellung zu Mozart sicher positiv beeinflusst, wenn wir das Stück gesungen hätten, das so perfekt zu unserer eigenen Sprache gepasst hat.

Jedes Wort ein Rätsel

Dass ich bis hierhin vor allem über geächtete Ausdrücke spreche, bedeutet natürlich nicht, dass das die einzigen Quellen für Missverständnisse sind. Auch harmlose Wörter können falsch aufgefasst werden und eine Aussage schäbiger aussehen lassen, als sie eigentlich gemeint war.

Ein Beispiel ist das Wort »Masse« im Bezug auf Menschen – oft auch in Zusammensetzungen wie »Menschenmasse« oder »Massenmedien«. Wenn jemand in irgendeiner Form »die Masse« kritisiert, schließt man daraus gerne, dass derjenige ein Verschwörungsschwurbler ist, der glaubt, schlauer als alle anderen zu sein.

Sicher wird es auch solche Leute mit Gottkomplex geben, aber die Definition von »Masse« lautet nicht zwangsläufig »alle anderen«. Jeder Mensch kann als Teil einer Masse oder als Individuum agieren und in beiden Fällen unterschiedliches Verhalten zeigen – ein ganzes Teilgebiet der Sozialpsychologie beschäftigt sich mit dieser Thematik. Wer »die Masse« kritisiert, kritisiert also nicht zwangsläufig die Individuen, die diese Masse bilden. Vom Genie des Einzelnen bleibt in der Gruppe wenig übrig, wenn sich nur der kleinste gemeinsame Nenner durchsetzt.

Informieren statt Belehren

Die Ironie von bedingungsloser politischer Korrektheit liegt darin, dass sie zwangsläufig zu Widersprüchen führt. Die Idee, dass man je nach Tagesverfassung sein Geschlecht frei wählen kann und das ausnahmslos überall zu akzeptieren ist, ruiniert etwa Frauenkategorien im Sport. Damit steht man also vor der Wahl, ob man lieber transfeindlich oder frauenfeindlich ist. Man kann es nie allen recht machen.

Genauso kann das strikte Einfordern politisch korrekter Sprache diskriminierend sein, denn nicht jeder kann sich daran halten. Es gibt Leute, die sich auch so schon schwer mit der deutschen Sprache tun. Es gibt Leute mit diversen Lernschwierigkeiten. Es gibt Leute, denen es schwer fällt, sich Begriffe abzugewöhnen, die sie 60 Jahre lang bedenkenlos nutzen durften. Und es gibt Leute mit einer abweichenden Meinung darüber, was politisch korrekt ist.

Trotz all dieser Gründe beobachte ich immer wieder, wie Leute mit offensichtlich guten Intentionen zur Sau gemacht werden, weil sie einen »falschen« Ausdruck verwenden. Das wird diesen Wohltätern sicher eine Lehre sein, noch einmal etwas Gutes tun zu wollen! Hauptsache, der Möchtegern-Kritiker kann sich öffentlich in seinem Heldentum suhlen, weil er einen vermeintlichen Übeltäter bloßgestellt hat.

Wenn einem die eigene Sprachnorm so wichtig ist, kann man ja gerne darauf hinweisen – aber bitte mit Maß und Ziel! Ein Posting im Internet nur mit einer Belehrung in Sachen politisch korrekter Sprache zu kommentieren, ist ähnlich sympathisch wie ein Kommentar, der nur die Grammatik zerpflückt – im Englischen nennt man so jemanden »Grammar Nazi«. Eine höfliche Randbemerkung am Ende einer fachkompetenten Antwort hat vermutlich wesentlich bessere Aussichten darauf, beim Gegenüber etwas Anderes als Ablehnung und Ärger zu bewirken.

Verstehen statt Kritisieren

Gerade dann, wenn man gebildet genug ist, um andere belehren zu können – insbesondere im Bereich von Sprache –, sollte man sich eigentlich auch möglicher Missverständnisse bewusst sein … und sollte daher besser als alle anderen reproduzieren können, was Menschen unabhängig von ihrer Wortwahl wirklich meinen.

Schematische Darstellung, die den Weg einer Nachricht von der Kodierung beim einem Sender zur Dekodierung bei einem Empfänger darstellt, während es dazwischen eine Störung geben kann.
Das Sender-Empfänger-Modell ist ein absoluter Klassiker, um Kommunikation zu erklären. Es veranschaulicht deutlich, dass das, was bei einem ankommt, nicht zwangsläufig das ist, was gemeint war.

Und nein: automatisch davon auszugehen, dass jemand von mehreren möglichen Interpretationen die schlechteste meint, ist weder professionell noch macht es irgendjemanden glücklich – auch sich selbst nicht, denn damit konstruiert man sich bloß seine eigenen Feinde. Professionell ist es, die richtigen Fragen zu stellen, bis man weiß, was wirklich gemeint ist.

Wer aus irgendeiner Geisteswissenschaft kommt und deshalb glaubt, dass seine Fachsprache überall korrekt verwendet werden muss, sollte sich auch bewusst machen, dass andere Fachbereiche genauso ihre eigenen Sprachen haben, die von der halben Welt falsch verwendet werden. Ich belehre niemanden, der von einer Homepage spricht, obwohl er eigentlich eine Website meint, und auch niemanden, der von einer String-Taste redet, wenn er die Steuerung-Taste meint. Solange wir nicht gerade gemeinsam an einer Fachpublikation arbeiten, zählt nämlich primär eine Sache: dass ich verstehe, was gemeint ist.

Nicht zuletzt bin ich persönlich auch der Meinung, dass gerade die grausamsten Begriffe nur ein sehr eingeschränktes Beleidigungspotential haben. Wenn mir jemand in vermeintlich sachlichen, aber doch unsinnigen Argumenten irgendeine Kompetenz abspricht, verletzt mich das hundertmal mehr als wenn mir jemand einen vulgären Ausdruck an den Kopf wirft.

Eine betrunkene Dame, die einmal im Supermarkt zu mir meinte, dass ich »ein blödes Gesicht« habe, konnte ich mit einem Augenrollen und einem mitleidigen Grinsen ignorieren. Leute, die sich während eines Fachvortrages in einem Chat über meine Glatze lustig gemacht hatten und Spenden für eine Haartransplantation sammeln wollten, brachten mich zum Lachen. Aber als meine Tageszeitung pseudo-intellektuelles Geschwurbel veröffentlicht hatte, das allen Bartträgern einen männlichen Minderwertigkeitskomplex unterstellt, habe ich mir und meinem Bart eine neue Zeitung gesucht.

Zum Abschluss ein allerletztes Wort, das oft missverständlich interpretiert wird: Toleranz. Offiziell bedeutet Toleranz eigentlich, etwas zu erdulden oder zu ertragen – was erst einmal voraussetzt, dass man sich an dem Tolerierten stört. Wenn man an dieser Definition merkt, dass man doch gar nicht so tolerant ist, wie man gedacht hat, dann ist das Tolerieren anderer Sprachgewohnheiten schon mal ein guter Anfang.

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