AAA++ extra mit Sternchen

Es gibt viele Möglichkeiten, Dinge zu bewerten. Wer nicht vorausschauend denkt, neigt aber gerne zur unflexibelsten Variante und beschert uns damit auf lange Sicht stumpfsinnige Schemata, die nur noch mit Erklärung verständlich sind.

Energieklassen-Kennzeichnung van A bis AAA+++
So könnte das Schema für die Energieklassen-Kennzeichnung irgendwann einmal aussehen, wenn man nicht weiter als bis zum nächsten Frühstück denkt.

Bewertungen begleiten die meisten von uns in der Form von Noten schon seit der Schulzeit. Wahrscheinlich neigen wir deshalb dazu, auch andere Dinge nach dem selben Schema zu bewerten. Das ist ja auch ganz einfach und intuitiv, oder? Habe ich eine Eins, bin ich ausgezeichnet – habe ich eine fünf, bin ich hundsmiserabel.

Nun werden sich bereits die ersten Leser aus Deutschland wundern. »Hundsmiserabel« für die Fünf klingt schon sehr hart, immerhin gibt es ja auch noch die Sechs. In meinem Heimatland Österreich gibt es diese aber nicht – hier endet die Skala bei fünf. Und dann gibt es noch die Schweiz, in der das ganze System auf den Kopf gestellt wird: Hier ist die Sechs die beste Note und eine Eins die schlechteste. Das ist auch der Grund, warum viele Leute dem Irrglauben aufsitzen, dass Albert Einstein ein schlechter Schüler war.

Im Wikipedia-Artikel zu Schulnoten findet man noch unzählige weitere Systeme. Dass Noten intuitiv verständlich sind, kann man also nur glauben, wenn das Denken spätestens an der nächsten Landesgrenze endet. Für Privatpersonen eine übliche Denkweise – was interessieren mich auch die Schulnoten im hinteren Kongo –, aber auch große Institutionen sind da oft uneinsichtig … zum Beispiel die EU.

Sehr gut, besser, noch besser: Energieverbrauch

Um den Energieverbrauch ähnlicher Geräte vergleichen zu können, gibt es in der EU ein Energielabel, das – zumindest in der ursprünglichen Theorie – Noten von A bis G vergibt. A steht dabei für die Bestnote, G für den schlechtesten Wert.

Da stellt sich schon die Frage: Warum ausgerechnet A bis G? Ich vermute mal ganz voreingenommen, dass das mit der Dominanz der USA in der Welt zusammenhängt, denn dort werden Schulnoten nach einem ähnlichen Schema vergeben. Tja, irgendein System musste man ja nehmen und die Briten, die zumindest bis jetzt noch offiziell Teil der EU sind, verwenden ebenso Buchstaben mit A als Bestnote.

Eine Schnapsidee war es trotzdem. Denn anders als im Schulbetrieb, wo nachfolgende Generationen nicht zwangsläufig deutlich intelligenter als vorige sind, gibt es in technischen Bereichen recht rasante Entwicklungen. Da schon bald alle Geräte wesentlich effizienter waren, sind die schlechteren Bewertungen praktisch überflüssig geworden. Wäschetrockner müssen heutzutage sogar mindestens Klasse B erreichen, um überhaupt für den Handel zugelassen zu werden. Im Schulbetrieb würde das heißen: Du musst schon mindestens »gut« sein, um nicht als Versager zu gelten. Ein »befriedigend« wäre entgegen der Bezeichnung ganz und gar nicht befriedigend.

Schlechte Kategorien einfach wegfallen zu lassen, funktioniert ja recht leicht. Zum Ausgleich muss man aber oben etwas hinzufügen. An dieser Stelle wird bewusst, wie hirnrissig ein A für die beste Bewertung ist. A ist bereits der erste Buchstabe im Alphabet – einen »noch ersteren« gibt es nicht. Also hat man die Skala in bürokratischem Gefrickel um A+, A++ und A+++ erweitert.

Auf den ersten Blick erinnert mich das ein wenig an meine alte Musiklehrerin. Nachdem ich einmal durchschaut hatte, dass sie in schriftlichen Tests Zusatzpunkte für alle Informationen vergibt, die gar nicht gefragt waren, hatte ich regelmäßig nicht nur eine Eins, sondern eine »römische Eins«.

Prüfungsbogen mit Zusatzpunkten
Ein Musiktest, der durch Zusatzpunkte die Punktehöchstzahl übersteigt.

Im Gegensatz zu A+ war diese römische Eins aber rein symbolischer Natur. In einem Zeugnis hatte mich die Lehrerin aufgrund fadenscheiniger Argumente bezüglich Mitarbeit sogar von meiner römischen Eins im Test auf eine Zwei abgestuft. Dabei hatte ich doch beim Gesang meinen Mund immer so glaubwürdig mitbewegt als würde ich wirklich singen. Was aber hier wie dort offensichtlich ist: Die Erweiterung der Skala nach oben hin war eigentlich nicht vorgesehen.

Jetzt haben ein paar schlaue Kerle oder Kerlinnen in der EU dieses Problem eingesehen und kürzlich beschlossen, das Schema zu reformieren (– heise.de, derstandard.at und andere berichten). Aber ganz so schlau sind sie dann wohl doch nicht, denn statt das Problem an der Wurzel zu packen, stopfen sie wieder alles in ein Schema von A bis G. In der Politik reicht das Denken zeitlich wohl immer nur bis ans Ende der nächsten Legislaturperiode.

Dabei wäre es so einfach: Schema umdrehen und auf Zahlen umsteigen – so wie bei den schweizer Noten. Je höher der Wert, desto besser die Bewertung. Die Skala kann dann nach oben hin erweitert werden bis es keine Zahlen mehr gibt – und das sind bekanntlich eine ganze Menge.

Und es kann auch niemand sagen, dass das nicht intuitiv wäre. Im Prinzip wäre das nichts Anderes als Punkte oder Levels in einem Videospiel – und damit sollen viele ja besser vertraut sein als mit dem Zeug aus der Schule.

videospielartige Szene mit Kühlschrank auf Level 4
Ein einfaches Level-System, wie man es aus Videospielen kennt, wäre oft wesentlich sinnvoller.

Größer, besser, weiter: Werbung an die Macht

Der Energieverbrauch war jetzt nur ein einzelnes, aktuelles Beispiel für ein Nicht-an-die-Zukunft-denken. Aber wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht man Ähnliches überall. In dem Haus, in dem ich wohne, wurde etwa vor Jahren eine Gegensprechanlage nachgerüstet, aber offensichtlich nicht bedacht, dass Menschen es doch tatsächlich wagen, gelegentlich umzuziehen. Da es keine ersichtliche Möglichkeit gibt, die Namensschilder zu wechseln, war ein Großteil davon bald spartanisch überklebt oder gar mit roher Gewalt herausgebrochen. Ein makaber-schöner Anblick, der leider kürzlich durch Reparatur zunichte gemacht wurde und deshalb hier nur textlich wiedergegeben werden kann.

Besondere Erwähnung verdient sich in dem Zusammenhang aber auch die Geißel der Menschheit namens Werbung. Um ein Produkt zu vermarkten, kann es gar nicht genug Superlative geben. Selbst ich als Geizkragen habe immer wieder Produkte daheim, die sich mit Begriffen wie »Premium« oder »Deluxe« schmücken, obwohl ich einfach nur zu den billigsten gegriffen habe. Schon klar, ein ehrlicher »Schokopudding Substandard« würde sich zumindest in Kreisen mit gewissen Sprachkenntnissen eher suboptimal verkaufen, aber sympathischer ist es mir immer noch, wenn auf jede sinnlose Selbstbewertung verzichtet wird.

Leider lassen sich auch in der Technikbranche immer wieder Leute dazu hinreißen, Produkte mit so subjektiven Benennungen in die freie Wildbahn zu entlassen. Genauso wie beim Energielabel stehen diese Genies dann nach einigen Jahren des technischen Fortschritts vor dem Problem, dass neue Produkte noch superer als die vorigen sind und dann beginnt das Namens-Chaos.

Ein Paradebeispiel sind etwa die Datenraten von USB-Geräten. Bei diesen unterscheidet man heute folgende Geschwindigkeiten:

  1. Low Speed
  2. Full Speed
  3. Hi-Speed
  4. SuperSpeed
  5. SuperSpeed+

Ein wahrer Geniestreich! Wer heute ein Gerät mit der Bezeichnung »volle Geschwindigkeit« kauft, erhält das zweitlahmste Ding am Markt. Wenn die Benennung so fortgesetzt wird, erreichen wir wohl irgendwann die aus der Star-Wars-Persiflage »Spaceballs« bekannte »wahnsinnige Geschwindigkeit«.

Ein ähnliches Beispiel, das Dir sicher bekannt ist, sind Bildschirmauflösungen – nur wird hier ein bisschen mit Abkürzungen getrickst, damit die Absurdität nicht so auffällt. Das bekannte HD steht für »High Definition«, was übersetzt also schon »hohe Auflösung« heißt. HD allein gilt inzwischen aber gar nicht mehr als besonders hoch, denn mittlerweile gibt es unter anderem auch schon:

  1. »Full HD«
  2. UHD = Ultra HD
  3. FUHD = Full UHD

Um das noch einmal ganz konkret auszuschreiben: Der letzte Punkt heißt »Full Ultra High Definition« oder zu Deutsch »volle ultra-hohe Auflösung«. Dieser Begriff ist so peinlich, dass mir die »wahnsinnige Geschwindigkeit« daneben geradezu bieder vorkommt.

Fairerweise muss ich aber zugeben, dass mir der Begriff »Full UHD« bis jetzt noch nicht in freier Wildbahn begegnet ist. Zumindest in den Medien, die ich konsumiere, sind hier eher die nüchtern beschreibenden Bezeichnungen »4K« beziehungsweise »8K« üblich, die für einen tatsächlichen Größenwert stehen, nämlich für die ungefähre Bildschirmbreite in Pixeln (4.000 bzw. 8.000).

Noch schöner wäre es bloß gewesen, hätten sie das Rad nicht zum zweiten Mal neu erfunden, denn davor war es üblich, die BildschirmHÖHE anzugeben (»720p« bzw. »1080p«) und davor wiederum war es üblich BEIDES anzuführen (z.B. »1024 × 768 px«). Zahlen sind zwar super für Vergleiche geeignet, aber das setzt zumindest voraus, dass nicht jeder Hampelmann sein eigenes Schema entwickelt. Demnächst wird dann wohl wie bei Kameras die Gesamtanzahl der Pixel angegeben – oder falls jemand ganz lustig drauf ist: der Umfang des geometrischen Umkreises.

Neu, neuer am neuesten: Dateinamen

Energieklassen, USB-Datenraten, Bildschirmgrößen, … alles Dinge, mit denen wir zwar oft irgendwie konfrontiert sind, die aber wohl die wenigsten von uns aktiv mitgestalten. Deshalb bringe ich zum Abschluss noch ein Beispiel ins Spiel, mit dem Du wohl eher vertraut bist: Dateinamen.

Auch bei der Benennung von Dateien – oder auch Ordnern – sollte man sich immer schon im Vorhinein Gedanken über die Zukunft machen. Das gilt insbesondere dann, wenn man eine Datei vervielfältigen will – etwa, weil man eine Vorlage immer wieder verwenden oder alte Versionen griffbereit halten möchte.

In meinem Bürojob habe ich mir schon öfters die Zähne daran ausgebissen, die aktuellste Version einer Vorlage zu finden. Da stolpere ich dann über solche Namen wie »Vorlage neu«, »Vorlage 2« und »Vorlage 2016 aktuell«, am besten noch verstreut über diverse Ordner. Manchmal hilft dann noch das letzte Bearbeitungsdatum weiter, aber oft ist das Chaos so groß, dass man sich nicht einmal darauf verlassen kann – etwa, wenn der letzte Benutzer schon eine veraltete Vorlage erwischt hatte und diese dann aus irgendeinem Grund nochmals gespeichert hat. Da muss ich oft zum Geheimagenten mutieren, um die richtigen Akten zu finden.

Ich habe mir deshalb mittlerweile folgendes Schema angewöhnt:

  • Die aktuellste Datei kommt immer ohne irgendeinen Zusatz aus, z.B. »vorlage.odt«. Damit ist sichergestellt, dass eventuelle Verknüpfungen auf diese Datei auch weiterhin funktionieren.
  • Will ich einen Zwischenstatus sichern, erstelle ich eine Kopie, an die ich das Datum anhänge, z.B. »vorlage_2017-05-07.odt«. Wichtig ist dabei, zuerst die Jahreszahl, dann den Monat und abschließend den Tag anzuführen. Damit erscheinen mehrere Sicherungen immer in der korrekten Reihenfolge, wenn man nach dem Dateinamen sortiert.
  • Alle Sicherungen verschiebe ich in einen Unterordner mit der Bezeichnung »archiv«. In der Praxis brauche ich diese ohnehin relativ selten und im Hauptordner verstellen sie mir nur die Übersicht über die aktuellen Dateien.
Gesicherte, alte Versionen
Mit dem Datum im Namen lassen sich Dateien oder Ordner auch dann leicht einordnen, wenn das angezeigte Bearbeitungsdatum aus irgendeinem Grund nicht korrekt ist.

Im Büro nützt mir das natürlich nur so lange, wie ich allein in einem Ordner arbeite oder andere Leute nach allen Regeln mitspielen. Aber ein sinnvolles Konzept ist schon mal mehr als gar kein Konzept. Zumindest die Leute, die meine Dateien suchen, sollten mit einer Spur Verstand recht klar nachvollziehen können, welche die aktuellste ist. Wenn jemand das Aktuellste in einem Ordner mit der Bezeichnung »archiv« sucht, sind ohnehin Hopfen und Malz verloren – das gibt bestimmt keine römische Eins plus mit Sternchen.

Kommentare

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Bisherige Kommentare

  • Anton

    Hervorragender Artikel, du bringst die Dinge sehr schön auf den Punkt! Und zum Schmunzeln hat man auch genug. ;)