Buchstabieralphabete als Spielplatz der Eitelkeiten

Anton, Berta und Cäsar können sich glücklich schätzen – sind sie doch dank Buchstabiertafeln in aller Munde … oder waren es zumindest, denn mittlerweile sind sie abgelöst und abgeschafft.

Wand mit der Aufschrift »Golf Hotel India« und weiteren bunten Beschriftungen »Alpha«, »Bravo«, »Charlie«, »Delta«, »Echo« und »Foxtrot«.
Wenn man eine leere Wand mit etwas füllen will, aber keinen Inhalt hat, kann man einfach »A, B, C« nehmen, oder wie man im ICAO-Alphabet sagt: »Alpha, Bravo, Charlie«. Die eigentliche Intention hinter solchen Buchstabieralphabeten, die es auch speziell für den deutschsprachigen Raum gibt, ist natürlich eine andere. (Bildquelle: ReneeWrites, CC BY-SA 4.0)

Treml ist mein Name; aber wie man das schreibt, ist gar nicht so leicht zu vermitteln. Vor allem die zwei Konsonanten am Ende dürften oft für Irritation sorgen und so werde ich gerne mal auf die Streckbank gespannt und zu einem Tremel oder gar zu einem Tremmel verlängert.

Aus diesem Grund hatte ich mir vor einigen Jahren eine Eselsbrücke zugelegt: »Wie der Kreml in Moskau, nur mit einem T.« Aber das Ergebnis war bloß noch mehr Irritation. »Kremlt?«, fragte mich ein Verkäufer mit verdutztem Gesicht.

Auch sonst war dieser Vergleich wahrscheinlich mehr Esels- als Geniestreich, denn einerseits setze ich damit voraus, dass die Leute über den Kreml und seine korrekte Schreibweise Bescheid wissen, und andererseits wecke ich damit Assoziationen, die wahrscheinlich schon damals nicht nur allseitiges Entzücken ausgelöst hätten.

Einfach nur die einzelnen Buchstaben anzusagen, ist auch keine gute Idee, weil einige davon so kurz und ähnlich sind, dass der Empfänger leicht etwas Falsches hört. Da wird aus »te er e em el« dann schon mal »Dränl« oder Ähnliches.

Zum Glück gibt es eine bessere Lösung: normierte Buchstabieralphabete, in denen jeweils ein möglichst unverwechselbarer Begriff oder Name für den Buchstaben steht, mit dem er beginnt. Damit fahre ich in der Regel ganz gut, aber der Weisheit letzter Schluss ist das auch nicht.

Namen mit Namen buchstabieren

Die klassischen Buchstabieralphabete bestehen überwiegend aus Vornamen. Nachdem ich in der Praxis ausschließlich darauf zurückgreife, um meinen Nachnamen zu buchstabieren, ist das eine unglückliche Kombination. Würde ich in irgendeiner Kartei als Theodor Richard Emil Martha Ludwig Treml aufzuscheinen, wäre ich höchstens darüber verwundert, dass sich jemand den Aufwand gemacht hat, mehr als nur den ersten falschen Vornamen einzutragen.

BuchstabeAnsagewort
AAnton
BBerta
CCäsar
DDora
EEmil
FFriedrich
GGustav
HHeinrich
IIda
JJulius
KKonrad
LLudwig
MMartha
NNordpol
OOtto
PPaula
Qku
RRichard
SSiegfried
TTheodor
UUlrich
VViktor
WWilhelm
XXaver
YYpsilon
ZZürich
Das österreichische Buchstabieralphabet nach ÖNORM A 1081

Im Gegensatz zu Österreich hat Deutschland 2022 seine offizielle Buchstabiertafel ganz neu zusammengestellt und die Vornamen verbannt. Allerdings hat man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, indem man jetzt stattdessen Ortsnamen verwendet. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich das abspielt, wenn jemand einen relativ unbekannten Ort buchstabieren will:

A: »Bitte liefern Sie an unsere Adresse in Krölpa!«
B: »K… Kr…«
A: »Krölpa: Köln, Ros…«
B: »Ach so, Köln!«
A: »Nein, nicht Köln! Krölpa: Köln, Rostock, …«
B: »Also Rostock?«
A: »Nein, nicht Rostock!«

Ganz allgemein liegt es ja in der Natur der Sache, dass man im Alltag vor allem Eigennamen buchstabieren muss. Das dann wiederum mit Eigennamen zu machen, ist ein wenig so, als würde man versuchen, Feuer mit Feuer zu löschen. Köln und Rostock mögen ja selbst mir als Österreicher noch ein Begriff sein, aber die Buchstabiertafel enthält unter anderem auch Ingelheim und Unna, die mir fremd genug sind, um sie als Engelheim und Hunna zu verstehen.

Da stelle ich mir die Frage, warum man sich stattdessen nicht auf möglichst einfache und allgemein bekannte Wörter verständigt hat. »Engel« wird ja wohl kaum jemand als »Ingel« missverstehen.

Ausschnitt aus Schulfoto mit Ast im Hintergrund, an dem Bilder mit Buchstaben und Tierbildern hängen. Sichtbar sind: Nashorn, Koala, Dromedar, Ibis, Walross, Löwe, Orang-Utan und Elefant.
Bei meiner Einschulung in den 90ern mussten Tiere als Namenspaten für Buchstaben herhalten. Grundsätzlich eine gute Idee, aber für I einen südamerikanischen Ibis statt eines heimischen Igels zu verwenden, ist auch ein wenig unintuitiv.

Mich frisst der Neid

Abgesehen von möglichen Verwirrungen schüren Eigennamen auch Neid und Eitelkeit. Bei den Recherchen zu diesem Artikel bin ich auf eine englische Buchstabiertafel von 1932 gestoßen, die internationale Ortsnamen verwendet – und meine erste Reaktion war Enttäuschung, weil unter V nicht meine Heimatstadt Wien (Vienna) steht.

Englischsprachiges Buchstabieralphabet mit den Ansagewörtern Amsterdam, Baltimore, Casablanca etc.
V wie Valencia? Skandal! Wie könnt ihr es wagen? (Bildquelle: Karl432, Public Domain)

Im Gegenzug äußerten sich zur Einführung der neuen Buchstabiertafel in Deutschland einige der vertretenen Ortschaften sehr erfreut. Besonders bemerkenswert war dabei die Reaktion des Oberbürgermeisters der Stadt Essen, der entweder einen guten Sinn für Humor hat, oder sich gar nicht mehr bewusst ist, dass der Name seiner Heimat auch eine andere Bedeutung hat, denn er wird mit den Worten zitiert: »So wäre Essen im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde […]«

Auch bei den Vornamen waren solche Repräsentationsfragen von großer Bedeutung. Der Schwenk zu Ortsnamen wird vom deutschen Institut für Normung damit begründet, dass die klassische Tafel mit ihren traditionellen, vorwiegend männlichen Namen »nicht die Realität unserer Gesellschaft« widerspiegle.

Und das ist nicht das erste Mal, dass aus politischen Gründen das Buchstabieralphabet geändert wurde. Ursprünglich beinhaltete es auch jüdische Namen wie Nathan, die im letzten Jahrhundert aus demselben Grund wie die meisten zugehörigen Namensträger von der Bildfläche verschwunden sind.

Die Zeiten ändern sich

Generell unterliegen Vornamen dem Zeitgeist und sind daher sicher nicht die beste Wahl für eine Norm, die Jahrzehnte überdauern soll. Leute, die Konrad, Heinrich oder Wilhelm heißen, kennen die meisten von uns wahrscheinlich nur noch aus Geschichtsbüchern.

Selbst wenn wir uns darauf einließen, alle paar Jahrzehnte das Buchstabieralphabet zu aktualisieren, wäre die Wirkung wahrscheinlich kaum noch dieselbe wie früher. Schließlich ist die Welt heute wesentlich vernetzter und vielfältiger als vor hundert Jahren und das spiegelt sich auch in den Vornamen wieder.

Laut Daten von Statistik Austria haben die zehn beliebtesten Bubennamen im Jahr 1984 noch 41 Prozent aller Namen ausgemacht, während es 2009 nur noch 21 Prozent waren – und das sind nur die Zahlen für Staatsbürger. Bezieht man Kinder ohne Staatsbürgerschaft ein, kommt man 2021 auf gerade mal 16 Prozent. Die Zeiten, wo man auf der Straße einen Namen gerufen hat, und sich zehn Leute umgedreht haben, sind wohl vorbei.

Städtenamen sind zumindest deutlich beständiger, aber im nicht gerade kleinen Deutschland ebenfalls in solchen Mengen vorhanden, dass man die Bekanntheit nicht voraussetzen sollte. Ich mache mir wahrscheinlich nicht allzu viele Feinde, wenn ich öffentlich gestehe, dass mir die Buchstabier-Stadt Xanten auf Platz 633 der größten deutschen Städte kein Begriff ist. Der bekannteste Fakt zu dieser Stadt ist offenbar jener, dass sie als einzige einen Namen hat, der mit X beginnt.

Bei einer Buchstabiertafel mit ganz allgemeinen Wörtern würde es auf die konkreten Begriffe ankommen, wie gut sie die Zeit überstehen. Beispiele aus der Natur wie »Apfel« und »Biene« werden hoffentlich trotz Klimakrise und Insektensterben auch in fünfzig Jahren noch jedem geläufig sein – andernfalls wäre korrektes Buchstabieren wahrscheinlich ohnehin unsere geringste Sorge.

Meiden sollte man dagegen Begriffe aus dem Technikbereich. Würde ich meinen Namen als »TikTok, Reddit, Etsy, Metaverse, LinkedIn« buchstabieren, stünden die Chancen gut, dass das in zehn Jahren nur noch für verwundertes Kopfkratzen sorgt. Auch die Nazis hatten sich in dieser Hinsicht gewaltig verschätzt, indem sie den Buchstabier-Namen Zacharias durch »Zeppelin« ersetzt hatten.

Schwarzweiß-Foto des explodierenden Zeppelins »Hindenburg«.
Dass das Wort »Zeppelin« heute überhaupt noch bekannt ist, hat sicher wenig mit aktueller Relevanz zu tun, sondern geht wohl mehr auf historisch-verklärte Luftschiff-Romantik und das hollywood-taugliche Ende der Hindenburg zurück. (Bildquelle: Sam Shere / Nationaal Archief, Public Domain)

Wer’s braucht …

Während (West-)Deutschland nach dem Krieg wieder von Zeppelin zu Zacharias zurückkehrte, blieb bei uns in Österreich weiterhin das aus der Mode gekommene Luftschiff im Standard. Ebenso blieben wir beim strammen Siegfried, der den jüdischen Samuel verdrängt hatte.

Die Autorin Alexia Weiss schrieb 2019 zu diesem Thema, dass sie ihren Nachnamen bewusst mit Samuel statt Siegfried buchstabiert und dann in Geschäften »erstaunte Blicke Programm« sind. Ich halte es dagegen für wahrscheinlicher, dass Frau Weiss’ Wahrnehmung von ihrer Erwartungshaltung verzerrt wird.

Als einigermaßen gebildeter, gebürtiger Österreicher kann ich selbst nur schwerlich mehr als meinen eigenen Nachnamen nach offizieller Tabelle buchstabieren – schließlich brauche ich diese Fertigkeit nie. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich zuletzt jemand anderen beim normgerechten Buchstabieren gehört hätte. Im besten Fall kommt es mir vielleicht unter, dass jemand einen einzelnen unklaren Buchstaben in irgendein beliebiges Wort packt, das ihm spontan einfällt – nach dem Schema: »Treml mit T wie Teebeutel.«

Dass es dann ausgerechnet in einem Geschäft, wo wahrscheinlich hunderte Kunden mit diversen Bildungs- und Sprachhintergründen ein- und ausgehen, für Erstaunen sorgen soll, wenn man S mit Samuel statt Siegfried buchstabiert, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Eher glaube ich noch an erstaunte Blicke darüber, dass man überhaupt zu den wenigen Leuten gehört, die so ein Alphabet verwenden.

Das österreichische Normungsinstitut dürfte das ähnlich gesehen haben, denn nur einen Monat nach Frau Weiss’ Artikel war die zugehörige Norm »wegen fehlender Marktrelevanz« ersatzlos abgeschafft. In Österreich haben wir nun also gar keine offizielle Buchstabiertafel mehr.

Ich war zwar noch nie in Deutschland, aber es würde mich wundern, wenn die Relevanz dort wesentlich größer wäre. Dass das Buchstabieralphabet auch Telefonalphabet oder Funkalphabet genannt wird, deutet letztendlich ja auch darauf hin, dass es in Zeiten von Textmedien wie WhatsApp, SMS und E-Mail nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher hat. Das einzige Essen, das deutschlandweit in aller Munde ist, wird dann wohl weiterhin die Currywurst sein.

Kommentare

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Michael Treml, 2023-01-15 22:51:

Ich kenne das Q aus der Schule grundsätzlich auch nur als »kwe«, mit »ku« würde das ja den schönen dichterischen Rhythmus zerstören, wenn man das Alphabet aufsagt:
o pe kwe
er es te
u vau we

Laut meinem österreichischen Wörterbuch von 1990 soll »ku« aber in der Mathematik üblich sein. Ich kann mich zugegeben nicht erinnern, ob es in Mathematikstunden und -vorlesungen tatsächlich immer so genannt wurde.

Bisherige Kommentare

  • Anonym

    "Im besten Fall kommt es mir vielleicht unter, dass jemand einen einzelnen unklaren Buchstaben in irgendein beliebiges Wort packt, das ihm spontan einfällt – nach dem Schema: »Treml mit T wie Teebeutel.«"

    Genauso ist es nämlich: Aus meiner mittlerweile über 40 Jahre andauernden Berufspraxis habe ich den Inhalt des zitierten Satzes immer wieder erlebt. Den Leuten ist es schlichtweg egal, ob sie nach Buchstabieralphabet oder politisch korrekt zitieren. Hauptsache das Gegenüber hat verstanden und der "Treml" bleibt ein "Treml" und wird nicht zum "Dremel"...

    Nachsatz zum Buchstabieralphabet: Das "Q" - also "ku" - lautete bei uns in der Schule noch "kwe" (gesprochen). "ku" dürfte also wieder eine Übernahme aus dem deutschen Hochdeutsch sein. Aber dann sind wie wohl wieder bei der Marille, dem Erdäpfel und dem Faschierten.

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Anonym:

      Ich kenne das Q aus der Schule grundsätzlich auch nur als »kwe«, mit »ku« würde das ja den schönen dichterischen Rhythmus zerstören, wenn man das Alphabet aufsagt:
      o pe kwe
      er es te
      u vau we

      Laut meinem österreichischen Wörterbuch von 1990 soll »ku« aber in der Mathematik üblich sein. Ich kann mich zugegeben nicht erinnern, ob es in Mathematikstunden und -vorlesungen tatsächlich immer so genannt wurde.