Dichte Bärte, gute Werte

Viele Menschen stehen jeglicher Barttracht mit Abneigung gegenüber. Dabei haben zumindest dichte Bärte durchaus praktische Eigenschaften.

Ein dichter Bart.
Meine Gesichtsbehaarung.

Seit dem Tag, an dem auf meiner Oberlippe die ersten längeren Haare das Licht der Welt erblickten, bin ich überzeugter Träger eines Bartes. Erst war es nur ein flaumiger Schnauzbart. Dann kamen am am Kinn die ersten zwei Barthaare hinzu, die aber gleich von Anfang an lang und dick wurden und damit wie ein Spiegelbild dessen aussahen, was Homer Simpson am anderen Ende des Kopfes hat – das hatte ich wegen der seltsamen Optik dann vorerst doch abrasiert und gewartet, bis es auch da unten dichter wurde.

Letztendlich konnte ich mir Oberlippenbart und Kinnbart zusammenwachsen lassen und trage das nun schon seit so vielen Jahren so konsequent, dass ich mich ohne diese markante Gesichtsbehaarung vor der fremden Person im Spiegel erschrecken würde. Selbst, wenn mein Bart sonst keinen Nutzen hätte, könnte ich ihn also im Fall einer Fahndung zumindest abrasieren, um im Handumdrehen unterzutauchen und nicht einmal mehr von meinen Eltern erkannt zu werden.

Aber auch sonst haben Bärte mehr praktische Eigenschaften, als ihnen üblicherweise zugestanden werden – zumindest dann, wenn es auch wirklich Bärte sind und nicht bloß vereinzelte Borsten. Deshalb erzähle ich in diesem Artikel, wieso ich trotz häufig gehörter Kritik so gerne einen Bart trage.

Einen Bart holt man sich nicht

Ein öffentliches Bild, das mich schon immer gestört hat, ist jenes, dass Glattrasiertsein gerne als Normalfall angesehen und das Barttragen hingegen hinterfragt wird, als ob es etwas wäre, was man bewusst herbeiführte. So als müsste ich extra zum Barbier meines Vertrauens gehen und dort »einmal Bart« bestellen.

Auf der Nachrichtenseite Der Standard heißt es etwa: »Was bewegt Männer heute dazu, sich nicht zu rasieren, sondern sich einen Bart wachsen und trimmen zu lassen?« Muss die Frage in Wahrheit nicht genau umgekehrt lauten? Warum soll ich mir tagtäglich Aufwand machen, um einen ganz natürlichen Bestandteil meines Körpers bis zur kompletten Unsichtbarkeit wegzuschneiden?

Kaum jemand mit klarem Verstand käme auf die Idee, mit solch einer verqueren Logik über Glatzen oder abrasierte Augenbrauen zu reden. Nur der Bart taugt offenbar als Buhmann in Sachen Kopfbehaarung. Vielleicht im wahrsten Wortsinn deshalb, weil er ein BuhMANN und keine BuhFRAU ist? Schließlich gilt für manch eine/-n heutzutage ja alles Männliche als toxisch …

Schimpansen tragen keinen Schnauzer

Verblüfft bin ich auch darüber, dass immer wieder eine Verbindung zwischen Bartträgern und Affen hergestellt wird. Schon im Roman »Tarzan bei den Affen« hieß es: »Fast täglich benetzte er sein scharfes Messer und kratzte und schabte seinen jungen Bart weg, um dieses herabwürdigende Sinnbild des Affen loszuwerden.«

Ja, Affen sind affensichtlich … Entschuldigung, den konnte ich mir nicht verkneifen … offensichtlich stärker behaart als Menschen. Aber ausgerechnet dort, wo wir Menschen üblicherweise den stärksten Bartwuchs haben – um den Mund herum –, wächst den meisten Affen bestenfalls etwas ziemlich Karges. Ein dichter, langer Bart unterscheidet also ganz im Gegenteil zum Klischee den Menschen sehr deutlich vom Affen.

Bonobo.
Sofern man nicht gerade den Backen- und Nackenbart von Abraham Lincoln als Maßstab heranzieht, haben die meisten Affen reichlich wenig Ähnlichkeit mit menschlichen Bartträgern. (Bildquelle: William H. Calvin, CC BY-SA 4.0, Bild beschnitten)

Die einzige mir bekannte Affenart, die zumindest einen teilweise vergleichbaren Bartwuchs hat, ist der Kaiserschnurrbarttamarin. Aber Bart- und Affenvergleiche zielen wohl nicht darauf ab, Menschen wie mich mit solchen possierlichen, kleinen Wonnebrocken zu vergleichen, die wegen ihres Exotenstatus ohnehin kaum jemand kennt.

Kleines Äffchen mit einem langen, weißen Schnurrbart.
Wer denkt an den Kaiserschnurrbarttamarin, wenn er das Wort »Affe« hört? (Bildquelle: Kevin Barret, CC BY-SA 2.0, Bild beschnitten)

Wenn man noch weiter geht und nicht bloß Einzelteile wie einen Schnurrbart, Walross-Schnauzer oder einen Ziegenbart, sondern die Gesamtheit des menschlichen Bartwuchses, betrachtet, kommt mir kein einziges Wildtier in den Sinn, das auch nur annähernd eine menschenähnliche Gesichtsbehaarung hat.

Am ehesten fielen mir da noch ein paar Hunderassen ein, aber die sind naturgemäß keine Wildtiere, sondern ehemalige, bartlose Wölfe, die wir durch jahrhundertelange Zucht zu Echtwelt-Karikaturen gemacht haben. Einen davon nennen wir aufgrund seiner Gesichtsbehaarung sogar einfach nur Schnauzer. Da werden die Tiere also nach unserem menschlichen Vorbild gestaltet und benannt, statt den umgekehrten Weg zu gehen.

Kompetent und attraktiv

Vielleicht ist die Tatsache, dass ein richtiger Vollbart von Natur aus dem Menschen vorbehalten ist, auch ein Grund dafür, warum – wie Studien festgestellt habenMänner mit Vollbart als kompetenter wahrgenommen werden. Weil sie eben nicht wie Affen aussehen … und auch nicht wie Kinder. (Kleiner Disclaimer, bevor sich jemand getriggert fühlt: Ich will nicht sagen, dass Erwachsene ohne Bart grundsätzlich wie Affen oder Kinder aussehen. Da gibt es schon noch mehr Unterscheidungsmerkmale; der Bart ist nur ein besonders prominentes.)

Interessanterweise zeigen dieselben Studien obendrein, dass Männer mit Vollbart auch als attraktiver wahrgenommen werden. Als überzeugter Bartträger kann ich diese Aussage ja aus meiner persönlichen Sicht nur unterstützen, aber als ich das zum ersten Mal hörte, war ich doch ein wenig überrascht, weil ich Zeit meines Lebens gefühlt zehnmal mehr negative als positive Kritik an Bärten gehört habe – insbesondere vom unbebarteten Geschlecht.

Vielleicht war meine persönliche Wahrnehmung da verzerrt – das kann zugegeben sein, da ich auch nicht so übertrieben bart-enthusiastisch bin, um eine Strichliste für Bartlob und Bartkritik zu führen.

Vielleicht haben die Studien da aber auch eine instinktive Präferenz aufgezeigt, die den Teilnehmern selbst nicht bewusst war. Urinstinkte lassen sich schließlich nicht so leicht durch Modeerscheinungen aushebeln und der Bart ist nun mal ein überdeutliches Zeichen von Männlichkeit. Oder wie es in einem Buch des Philosophen Arthur Schopenhauer sehr einfühlsam und feinfühlig ausgedrückt wird: »Zudem ist er [der Bart], als Geschlechtsabzeichen mitten im Gesicht, obszön: daher gefällt er den Weibern.«

Weißhaariger Mann mit Backenbart.
Arthur Schopenhauer mit seinem obszönen Backenbart. Ob der schon ausgereicht hat, um den Weibern zu gefallen, ist leider nicht übermittelt, aber sollte dem so gewesen sein, konnte Schopenhauer, ein lebenslanger Einzelgänger, seine Groupies offenbar erfolgreich abwehren. (Bildquelle: Johann Schäfer / Frankfurt am Main University Library, gemeinfrei, Bild beschnitten)

(Herzlichen Dank an dieser Stelle an das extrem engagierte Team von aphorismen.de! Diese Website war die einzige, auf der ich eine Quellenangabe zu diesem Zitat, nämlich den zweiten Band von »Parerga und Paralipomena«, gefunden hatte – und als ich meldete, dass ich es dort nicht finden kann, erhielt ich noch am selben Sonntag die ergänzende Auskunft, dass das Zitat erst in den »posthum vermehrten Auflagen von Julius Frauenstädt« als Fußnote auftaucht – inkl. drei Nachweisen auf Google Books: Quelle 1, Quelle 2, Quelle 3. Die Angabe auf der Website wurde auch sofort entsprechend angepasst.)

Bringt den Kopf individuell in Form

Natürlich ist der Bartwuchs von Mann zu Mann individuell; nicht jeder hat die Veranlagung zu einem stattlichen Vollbart. Als einer meiner Arbeitskollegen vor Jahren mal beim Movember mitmachte, einer Aktion, bei der sich Männer einen November lang Schnauzbärte wachsen lassen, hätte ich den zarten Flaum auf seiner Oberlippe gar nicht bemerkt, wenn er mich nicht darauf hingewiesen hätte. Mit so einer Veranlagung würde ich mich zugegeben auch lieber glattrasieren.

Mein eigener Bart hat auch seine Schwächen. Er wächst nur rund um den Mund sowie am Hals dicht. Meine gelegentlichen Versuche, mir einen richtigen Vollbart wachsen zu lassen, sind an meinen spärlich bewachsenen Wangen gescheitert, die mit mittlerweile rund 40 Lenzen wohl auch nicht mehr haariger werden, solange mich nicht auf meiner Laufroute durch den Wiener Wald ein Werwolf beißt.

Gesicht mit dichtem Bartwuchs um den Mund, aber nur karger Behaarung an den Wangen.
So sah mein letzter, kläglicher Versuch eines Vollbartes aus.

Und während die Behaarung an meinen Wangen schon seit Jahren stagniert, wird sie am Skalp sogar laufend weniger, sodass ich mittlerweile lieber mit gepflegter Vollglatze herumlaufe, als die paar verbleibenden Fäden am Schädeldach zur Schau zu stellen. Das, was ich an Bart habe, gibt mir zumindest einen gewissen Gestaltungsspielraum, den ich mit meinem Haupthaar nicht mehr habe. Während ich nördlich der Ohren bald nur noch die Entscheidung zwischen Gargamel und Onkel Fester habe, bleibt mir südlich der Nase vom lustigen Charlie-Chaplin-Bärtchen bis zum mittelalterlichen Astronomen jede Möglichkeit offen.

Wobei ich gewissermaßen zustimmen muss, ist, dass ein glattrasiertes Gesicht relativ zeitlos wirkt. Während sich gängige Bartmode über die Jahrhunderte immer wieder ändert, war ein glattes Gesicht vor 100, 500 oder 1.000 Jahren nicht von einem heutigen zu unterscheiden. Aber das trifft letztendlich auf jegliche Mode zu. Wenn eine solche Zeitlosigkeit das Maß der Dinge wäre, müssten wir alle – Mann wie Frau – nackt, glatzköpfig und ungeschminkt herumlaufen. Wo nichts ist, kann auch nichts gestaltet werden.

Was mein Bart mir insbesondere – trotz seiner Einschränkungen – ermöglicht, ist eine ganz natürliche Erweiterung des Kinns. Viele Männer begehren einen kräftigen Kiefer mit ausgeprägtem Kinn, weil das als ästhetisch und männlich gilt. Insofern ist es mir erst recht ein Rätsel, warum so viele sich ihre ganz natürliche Kiefer-Erweiterung restlos wegschneiden und dann womöglich mit Perspektiven in Fotos oder mit fragwürdigen Kiefertrainingsprodukten herumspielen, um die untere Gesichtshälfte doch wieder größer aussehen zu lassen.

Ein Finger greift etwa einen Zentimeter tief in den Bart an meinem Kinn.
Hier ist mein Kinn unter dem Bart.

Rotzbremse? Na Gott sei Dank!

Was auch öfters an Bärten kritisiert wird, sind ihre hygienischen Aspekte. Das findet sich auch in hämischen Begriffen wie »Rotzbremse« oder »Rotzfänger« wieder, die für Oberlippenbärte verwendet werden.

In der Praxis bin ich allerdings verdammt dankbar, wenn mein Bart bei Bedarf meine Nasensekrete abfängt – genauso, wie ich dankbar dafür bin, wenn meine Augenbrauen meinen Schweiß abfangen. Wenn ich gerade keine Hand frei habe oder eine rinnende Nase nicht rechtzeitig bemerke, wäre die Alternative zur Rotzbremse schließlich, dass das Zeug eine Etage weiter unten ungehindert wieder in den Körper zurück rinnt, aus dem es eben erst ausgetreten ist.

Ein ausreichend abstehender Bart kann es auch anderen unliebsamen Gästen erschweren, den Lippen nahezukommen, zum Beispiel heranfliegenden Insekten, Spinnweben, durch die man gerade ungesehen hindurch läuft, oder Körperflüssigkeiten von einem Gesprächspartner, dem beim Reden zu viel Wasser im Mund zusammenläuft.

Logischerweise kann das im Gegenzug bedeuten, dass sich in einem Bart Unappetitliches ansammelt. Behaarte Haut hat naturgemäß eine größere Fläche als unbehaarte und dadurch ist es nur natürlich, dort auch mehr Ungewolltes vorzufinden – insofern ist dieser Vorwurf sicher nicht ganz falsch.

Aber man sollte ihn in die richtige Relation setzen. In einer Online-Diskussion argumentierte einmal eine Frau, dass sie Bärte wegen der tagealten Essensreste darin anwidern. In diesem Fall fand ich es schon bemerkenswert, dass es ausgerechnet der Bart war, der sie anwiderte – und nicht etwa die Tatsache, dass ein entsprechender Mann offenbar wie ein Schwein frisst und sich tagelang nicht wäscht.

Probleme mit Essen in der Gesichtsbehaarung hatte ich schon seit Jahren nicht mehr. Schwierig war das zugegeben nur, als ich – teilweise über meine Mundwinkel – einen ausgefallenen, langen Bart hatte, der an den Kaiserschnurrbarttamarin erinnerte. Und selbst da bemerkte ich es nur beim Verzehr von vor Sauce überquellenden Burgern bei McDonald’s, was schon damals nicht mein Essens-Alltag war. Mit halbwegs moderater Bartlänge an der Oberlippe und zivilisierter Esskultur, die großteils mit Essbesteck ausgelebt wird, landet kaum etwas im Bart.

Und was sich doch in die Gesichtsbehaarung verirrt, bleibt sicher nicht tagelang dort, denn mein Bart wird üblicherweise zwei Mal am Tag gewaschen. Ich fürchte, dass viele Frauen hier von ihrer eigenen Haarpflege vorschnell auf männliche Bartpflege schließen. Bei langem Haupthaar ist es schließlich aus verschiedenen Gründen nicht unüblich, dieses nur einmal die Woche zu waschen, aber einen nicht allzu langen Bart kann man problemlos bei jeder Gesichtswäsche und jedem Duschen mitreinigen.

Statt Bärte in reißerischen Meldungen mit Hundefell und Kloschüsseln zu vergleichen, wie das in manchen Medien gerne geschieht, sollte man deshalb faire Vergleiche anstellen. Sicher gibt es unappetitliche Dinge in Bärten, aber die gibt es im Haupthaar, in den Augenbrauen und auf der blanken Haut auch.

Aber er sticht beim Küssen

Evolutionär dürfte ein dichter Bart übrigens eine Art Schutzschild für Schlägereien darstellen, da er Schläge auf besonders kritische Stellen abfedert.

Leute, die einem Mann lieber ihre Lippen als ihre Faust ins Gesicht drücken, beklagen dagegen öfters, dass ein Bart beim Küssen stört. Die konkrete Kritik, dass die Barthaare dabei stechen, lasse ich allerdings nur bedingt gelten. Das gilt sicher für einen Dreitagebart, aber ein etwas längerer Bart greift sich nicht mehr stachelig an, sondern erinnert – so spüre ich das zumindest in meinem konkreten Fall – mehr an das Fell eines Wildschweins. (All jene, die noch nie ein Wildschwein gestreichelt haben, bitte ich um Entschuldigung für den nichtssagenden Vergleich, aber etwas Alltäglicheres fällt mir nicht ein.)

Ich habe absolut Verständnis dafür, dass das letztendlich eine Geschmacksfrage ist. Aber selbst wenn die Abneigung beim Küssen eine universelle wäre, hätte ich persönlich kein Problem damit, denn fremde Lippen will ich ohnehin nicht auf meinen eigenen haben. Da erfüllt mein Bart nur einmal mehr einen praktischen Zweck.

Der monatliche WIESOSO-Artikel per E-Mail

Hat Dir dieser Text gefallen und würdest Du in Zukunft gerne per E-Mail über neue WIESOSO-Artikel auf dem Laufenden bleiben? Dann ist die WIESOSO-E-Mail-Gruppe genau das Richtige für Dich!

Nähere Informationen & Anmeldung

Kommentare

Neuen Kommentar schreiben

Bisherige Kommentare

Es sind noch keine Kommentare zu diesem Artikel vorhanden. Traue Dich und schreibe als erster Deine Meinung!