Wieso mir die Briefwahl zu mühsam ist

Viele Leute verstehen gar nicht, warum Wähler noch persönlich ins Wahllokal pilgern, wo es doch die ach so bequeme Briefwahl gibt. Doch in Wahrheit kann diese Wahl per Brief ganz schön unbequem sein.

Stimmzettel, auf dem Cholera und Pest zur Auswahl stehen

Zu einer Wahl zu gehen, ist schon eine Sache für harte Kerle. Da muss man sich an einem Sonntag aus dem Bett hochraffen, um noch vor dem Wahlschluss am Nachmittag zwei Straßen weiter ein Kreuzchen auf ein Zettelchen zu machen. Glücklicherweise gibt es die Alternative der Briefwahl, damit man bequem von zu Hause aus wählen kann.

… so die Theorie, die von manchen verbreitet wird. Wenn ich das für mich selbst einmal im Detail durchdenke, entpuppt sich das aber als absoluter Mumpitz.

Der Ablauf im Vergleich

Wenn ich ganz klassisch ins Wahllokal gehe, läuft das folgendermaßen ab:

  1. Ich erhalte meine Wahlinformation per Post.
  2. Ich gehe am Wahltag damit in mein Wahllokal (Strecke: ca. 330 m).
  3. Ich zeige meinen Ausweis und die Wahlinformation her.
  4. Ich erhalte einen Stimmzettel und ein Kuvert.
  5. Ich kreuze meine Wahl an.
  6. Ich stecke den Stimmzettel ins Kuvert.
  7. Ich werfe das Kuvert in die Wahlurne.

Wäre ich Briefwähler, würde der Ablauf so aussehen:

  1. Ich erhalte meine Wahlinformation per Post.
  2. Ich beantrage online eine Wahlkarte.
  3. Ich erhalte eine Verständigung, dass meine Wahlkarte in einer Postfiliale aufliegt, weil man mich daheim nicht antreffen konnte. Schon blöd, wenn man einen Job mit klassischen Kernarbeitszeiten hat und einen eingeschriebenen Brief empfangen will …
  4. Ich gehe zur Postfiliale. (ca. 1.040 m)
  5. Ich zeige meinen Ausweis und die Verständigung über das Einschreiben her.
  6. Ich erhalte meinen Brief und damit meinen Stimmzettel, die sogenannte Wahlkarte und ein Kuvert.
  7. Ich kreuze meine Wahl an.
  8. Ich stecke den Stimmzettel ins Kuvert.
  9. Ich unterschreibe die Wahlkarte. (Wenn ich es ganz ernst nehme, lese ich sie davor sogar.)
  10. Ich verklebe die Wahlkarte. (ein ungemein wichtiger Schritt!)
  11. Ich gebe die Wahlkarte ab.

Wer mich da noch fragt, warum ich nicht bequem per Brief wähle, lebt offenbar in einer Parallelwelt, in der ein Nagelbrett als bequem gilt. Die Briefwahl erfordert mehr Schritte, doppelt so lange Wege und beschäftigt neben mir auch noch mindestens drei weitere Personen – nämlich den Wahlkartenversender, einen Briefträger und einen Postmitarbeiter in der Filiale.

Und diese Aufstellung ist noch beschönigend, immerhin habe ich noch gar nicht im Detail angeführt, welche Schritte für die Online-Beantragung notwendig sind. Alternativ könnte man diesen Antrag auch persönlich oder per Brief einreichen, aber da wird es dann in Hinsicht auf Bequemlichkeit endgültig absurd.

Ist Deine Briefwahl bequemer?

Der angestellte Vergleich ist jetzt natürlich speziell auf mich bezogen. Wie bequem oder unbequem die Briefwahl tatsächlich ist, hängt sehr von den persönlichen Umständen ab. Einfacher wird die Briefwahl dann, …

  • … wenn Du ohnehin den ganzen Tag daheim herumhängst, weil Du etwa arbeitslos, unverschämt reich oder einfach nur zu dick bist, um noch durch die Wohnungstür zu passen. In dem Fall kannst Du den eingeschriebenen Brief zu Hause empfangen.
  • … wenn Du im Gegensatz zu mir kein ewiger Einsiedler bist und auf jemand anderen im Haushalt die Beschreibung aus dem vorigen Punkt zutrifft. Soweit ich Bescheid weiß, muss das Einschreiben nämlich nicht eigenhändig überreicht werden.
  • … wenn es Dein Postbote nicht ganz so genau nimmt, sich die Empfangsbestätigung von einem Nachbarn, einem Penner vor der Haustür oder von sich selbst unterschreiben lässt und den Brief einfach in den Postkasten wirft, auf die Türmatte legt oder als Papierflieger durchs offene Fenster wirft.
  • … wenn Du Dir die Wahlkarte nicht eingeschrieben, sondern als normale Sendung zukommen lässt (möglich mit Handy-Signatur oder Bürgerkarte). Aber dann bitte nicht weinen, wenn die Sendung nicht ankommt und Du Deine Stimme damit quasi im Müll entsorgt hast!
  • … wenn Du ohnehin ständig zur Post musst, etwa weil Du selbst dort arbeitest oder ständig neues Jetzt-50-zum-Preis-von-49-Zeugs beim Teleshopping bestellst.
  • … wenn die Postfiliale im selben Haus ist, aber das Wahllokal am anderen Ufer eines reißenden Flusses ohne Brücke – oder zumindest am anderen Ende des Wahlsprengels.
  • … wenn Du bei Deinen täglichen Wegen ohnehin an der Postfiliale vorbei kommst oder nur einen kleinen Umweg nehmen musst.

Vermutlich fühlen sich viele Leute auch in ihrem Wochenende gestört und empfinden es deshalb als angenehmer, ihren Stimmzettel im Lauf der Arbeitswoche abgeben zu können. Sofern das nicht mit einem der oben genannten Punkte zusammenfällt, ist das aber ein rein subjektives Argument. Zudem haben Postfilialen von Montag bis Freitag auch nicht immer die arbeiterfreundlichsten Öffnungszeiten.

Briefwahl: zum Glück unbequem

Ich finde es zugegeben gut, wenn die Briefwahl unbequem ist. Immerhin ist diese Option nicht als Ode an die Faulheit gedacht, sondern als Alternative für Menschen, die am Wahltag verhindert sind.

Es fährt ja auch kein normaler Mensch im elektrischen Rollstuhl herum, bloß weil er zu faul zum Gehen ist. Die Briefwahl ist wie ein Rollstuhl ein Hilfsmittel, um die Zugänglichkeit zu erhöhen. Aber genauso wie ein Rollstuhl keine Beine ersetzt, kann auch die Briefwahl nicht die herkömmliche Wahl ersetzen.

Sobald man seine unterschriebene Wahlkarte in einen Briefkasten geworfen oder sie irgendwo abgegeben hat, ist nicht mehr nachvollziehbar, was damit passiert. Weder Transparenz noch Anonymität können zugesichert werden. Du weißt weder, ob Deine Stimme ihr Ziel erreicht, noch, ob sie nicht irgendein Unbefugter in die Hände bekommt. Wer sicher sein will, dass seine Stimme zählt, geht daher – soweit möglich – ins Wahllokal.

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