E-Mails müssen nicht abgelöst werden

Das Medium namens E-Mail wird immer wieder totgesagt, hat aber bisher noch jeden vermeintlichen E-Mail-Killer überlebt. Aus guten Gründen.

Hände auf Laptop-Tastatur. Über den Händen fliegen virtuelle Briefe durch die Luft.
E-Mails sind besonders im Business-Bereich ähnlich schwer totzukriegen wie Stockfotos, die digitale Kommunikation durch herumschwebende Briefe visualisieren. (Bildquelle: Kiattisak auf Adobe Stock, Bild beschnitten und komprimiert)

1971 wurde die erste E-Mail versendet. Um das in Relation zu setzen: Das World Wide Web gibt es erst seit 1989 und selbst der Faxdienst der Deutschen Bundespost wurde (laut Wikipedia) erst 1979 offiziell ins Leben gerufen. Das Medium namens E-Mail ist also dermaßen alt, dass es schon Benutzer hatte, als für Otto Normalverbraucher selbst Faxgeräte noch eine Innovation waren, die die Zukunft einläutet.

Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, ist diese Zukunft Vergangenheit. Faxe findet man nur noch in Amtsstuben und Museen, wo sie gleich neben Telegrammen, in Sütterlin geschriebenen Briefen und mit Keilschrift versehenen Tontafeln liegen. Einige digitale Kommunikations-Methoden sind in der Zwischenzeit gekommen und längst wieder gegangen – selbst solche, die als E-Mail-Killer gehandelt wurden. Nur die E-Mail selbst ist nach wie vor allgegenwärtig.

Sind E-Mails also das perfekte Kommunikations-Medium? Nein, natürlich haben auch sie ihre Schwächen, vor allem in technischen Details wie Sicherheit und Zuverlässigkeit. Systembedingt können sich technische E-Mail-Verfeinerungen auch nur schwer durchsetzen.

Als Spam klassifizierte E-Mail von einem angeblichen Anwalt aus Großbritannien, dessen verstorbener Mandant eine Lebensversicherung von 17.820.000 £ und zufällig den gleichen Nachnamen wie ich haben soll.
Nicht nur Glanz und Gloria: E-Mails sind unter anderem berüchtigt für Nachrichten von nigerianischen Prinzen und anderen glaubwürdigen Gesellen, die ein Vermögen zu verschenken haben. Solche und andere Spam-Nachrichten lassen sich prinzipbedingt kaum verhindern, nur vermindern.

Aber Leute, die E-Mails aus Nutzersicht kritisieren und vermeintlich bessere Alternativen vorschlagen, haben in der Regel nicht verstanden, dass nicht alles an E-Mails schlecht ist und es durchaus gute Gründe gibt, wieso sie so beständig sind.

Langsam, aber durchdacht

Ein Schwachpunkt, der E-Mails gerne angekreidet wird, ist ihre Langsamkeit. In einer Ära, in der man Leuten am anderen Ende der Welt in Echtzeit beim Computerspielen oder beim Auspacken von Paketen zuschauen kann, geht es schließlich gar nicht, dass man einige Sekunden oder vielleicht sogar Minuten auf die Übermittlung einer Textnachricht warten muss.

Google hatte diese Ideologie bereits 2009 verinnerlicht. Das Ergebnis nannte sich Google Wave. »E-Mail, wie es wäre, wenn es heute erfunden würde« – so wurde dieses System damals von seinen Entwicklern bezeichnet und in der Berichterstattung wurde es gerne wörtlich als »E-Mail-Killer« betitelt.

Dahinter steckte eine Plattform, auf der man anderen Leuten in Echtzeit dabei zusehen konnte, wie sie jeden einzelnen Buchstaben ihrer Nachricht eintippen – inklusive der Möglichkeit, sich die Entstehungsgeschichte auch nachträglich anzeigen zu lassen.

Sähen E-Mails so aus, wären sie keine E-Mails mehr. »Mail« heißt ja wörtlich übersetzt Post. E-Mails sind daher die digitalen Nachfolger von Briefen auf Papier und genauso wie diese ein sogenanntes asynchrones Medium, also eines, das in erster Linie dazu gedacht ist, zeitlich versetzt miteinander zu kommunizieren. So eine zeitlich versetzte Kommunikation ist vielleicht langsam, hat aber auch klare Vorteile. Im Gegensatz zu einem hektischen Echtzeit-Gespräch kann man sich nämlich gründlich überlegen, was man kommuniziert und wie man es kommuniziert.

Würde man mir beim E-Mail-Schreiben live über die Schulter schauen, bekäme man oft Folgendes zu sehen:

  • Verworrene Schachtelsätze.
  • Missverständliche Formulierungen.
  • Missverständnisse von meiner Seite.
    (Werden mir oft erst beim Kontrolllesen bewusst.)
  • Mangel an Details.
  • Mangel an essenzieller Information.
    (Gerne beginne ich mit Grußformel und Signatur, bevor ich mich dann Schritt für Schritt zu den schwierigsten, aber wichtigsten Inhalten vorarbeite.)
  • Unverständliches Kauderwelsch.
    (Manchmal beginne ich nur mit einer Sammlung von Stichworten, die ich mir zum Beispiel während eines Telefonats mache – also unter starkem Zeitdruck und mit nur einer freien Hand zum Tippen.)
  • Vermutungen statt Fakten.
    (Oft verfasse ich einen Text vorab, warte das Versenden aber noch ab, bis ich eine bestimmte Information habe.)
  • Emotionen statt Sachlichkeit.
    (Eine Nacht zu schlafen, bevor man einen Text absendet, vollbringt manchmal wahre Wunder.)

Im schlimmsten Fall bezahlt man den Zeitgewinn einer in Entstehung gelesenen Textnachricht also damit, dass die Informationen, die man erhält, unvollständig, verwirrend, beleidigend und schlicht und ergreifend falsch sind.

Im Gegenzug wüsste ich aber auch gar nicht, warum ich jemand anderem beim Schreiben zuschauen sollte. Wo es tatsächlich auf größtmögliches Tempo ankommt, ist ein geradezu antiker Telefon-Anruf nach wie vor das beste Mittel der Wahl. Kein anderes Medium stellt dermaßen schnell und verlässlich sicher, dass eine Nachricht beim Empfänger ankommt.

Läutendes Smartphone, auf dem folgender Name des Anrufers angezeigt wird: Gevatter Tod, Seelenentsorgungs-GmbH.
Wenn die Zeit knapp wird, geht nichts über einen klassischen Telefon-Anruf.

Zeiten, die niemanden etwas angehen

Ein weiterer Grund, warum ich nicht will, dass mir jemand live beim E-Mail-Schreiben zusieht: Es geht niemanden etwas an, wann ich arbeite.

Manch einer ist ja stolz wie Oskar darauf, zu den unmöglichsten Tag- und Nachtzeiten Geschäfts-E-Mails zu schreiben und damit sein unerschöpfliches Engagement unter Beweis zu stellen. Ob man immer noch so stolz auf sich ist, wenn man dann knapp vor dem Burnout steht und Kollegen sowie Geschäftspartner gewohnheitsbedingt davon ausgehen, dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar ist, steht auf einem anderen Blatt.

Ich habe zugegeben selbst einen atypischen Tagesrhythmus – morgens zu faul zum Aufstehen, abends zu faul zum Schlafengehen – und arbeite mitunter auch an Feiertagen; aber wenn ich ohne dringenden Grund zu originellen Zeiten E-Mails verfasse, lege ich sie vorübergehend nur in den Entwurfsordner und versende sie erst zu üblichen Geschäftszeiten.

Menü mit der ausgewählten Option Datei / Speichern als / Entwurf.
Solange eine E-Mail nicht versendet ist, speichert das E-Mail-Programm Thunderbird sie als Entwurf ab. Wer will, kann diesen Entwurf erst Tage, Wochen oder Dekaden später absenden.

Möchtegern-E-Mail-Alternativen fehlt oft nicht nur eine solche Aufschub-Funktion – viele zeigen obendrein ähnlich wie Google Wave in Echtzeit an, ob ich gerade online bin oder tippe. WhatsApp informiert in einer Gruppenansicht zum Beispiel darüber, wer gerade am Schreiben ist. Damit kann man auch nachverfolgen, ob ich viel Zeit für wenig Text brauche oder ob ich es mir noch einmal anders überlege und mein Geschriebenes doch nicht absende. Auf solche Dinge ist man in der Regel weniger stolz als auf seinen letzten Nachteinsatz.

Auch ist es bei vielen Systemen Standard, dass einem angezeigt wird, ob die eigene Nachricht vom Empfänger bereits abgerufen wurde. Das verrät mitunter nicht nur, zu welchen Zeiten ich aktiv bin, sondern erhöht auch den Druck, auf eine Nachricht zeitnah reagieren zu müssen, weil der Sender ja in der Regel davon ausgeht, dass ich sie nicht nur abgerufen, sondern auch gelesen und verstanden habe.

Hauptmenü auf LinkedIn. Beim Punkt »Messaging« wird in einem kleinen roten Kreis die Zahl 5 angezeigt.
Hier auf LinkedIn warten fünf Mitteilungen auf mich, aber ich lese bewusst keine einzige davon, bis ich die Muße habe, sie auch alle sofort zu beantworten. Das ist zwar sicher das Gegenteil dessen, was die automatische Lesebestätigung bewirken soll, aber ich lasse mich nur ungern überwachen und drängen.

Bei E-Mails kann man zwar auch eine Lesebestätigung anfordern, aber es obliegt dem Empfänger, ob er diese auch sendet. In aller Regel ist diese Anfrage so erfolgreich wie ein Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Man kann nur spekulieren, warum andere Medien einem etwas aufzwingen, was man bei E-Mails so gut wie nie haben will.

Reichlich Platz für reichlich Inhalt

Wer das gesprochene Wort gegenüber der Schriftform bevorzugt, kritisiert an E-Mails gerne, dass man damit lange hin- und herschreiben müsse, um etwas zu klären, was mit einem einzigen Anruf erledigt wäre.

Das mag in manchen Fällen so funktionieren, ist aber kein Naturgesetz. Oft scheitert die Idee vom einzelnen Anruf schon daran, dass der Angerufene gerade nicht erreichbar ist – sei es, weil er gerade am Lokus sitzt, oder weil er es ebenfalls für eine gute Idee hält, alles telefonisch zu klären, und deshalb ständig eine besetzte Leitung hat. So gibt es dann durchaus auch gegenteilige Fälle, wo lange hin- und hergerufen wird, um etwas zu klären, was mit einer einzigen E-Mail erledigt gewesen wäre.

Ganz allgemein habe ich den Eindruck, dass jemand, der mit E-Mails lange hin- und herschreibt, das Medium nicht verstanden hat und krampfhaft versucht, ein persönliches Gespräch eins zu eins in Schriftform nachzubilden.

E-Mails als langsames, asynchrones Medium spielen ihre Stärken vor allem dann aus, wenn man ausführliche Texte schreibt. Wenn ich von jemandem zehn Fragen beantwortet haben will, dann schicke ich demjenigen nicht nur die erste Frage und warte auf die Antwort, bevor ich ihm die zweite Frage stelle, … sondern ich schicke alle zehn Fragen in einer einzelnen E-Mail und erwarte auch als Antwort eine einzelne E-Mail, die dafür aber auch länger auf sich warten lassen darf. Gute E-Mails sind keine spontanen Gedankenfetzen, sondern vorausschauende und durchdachte Texte.

E-Mail-Fenster mit einem Textfeld, in dem rund 20 Zeilen Text gleichzeitig angezeigt werden können.
»Ich bin leer. Komm, füttere mich mit reichlich Inhalt!« – allein der verfügbare Platz in einem neuen E-Mail-Fenster lädt schon dazu ein, eine Doktorarbeit zu schreiben.

Abseits von E-Mails gibt es leider so gut wie keine Kommunikations-Medien, die dazu einladen, ausführliche und vernünftig durchdachte Texte zu schreiben. Auf den meisten modernen Plattformen ist für die Texteingabe nur ein einzeiliger Schlitz vorgegeben, der erst bei längerer Texteingabe größer wird. Das motiviert dazu, sich so kurz wie möglich zu fassen.

Einzeiliges Texteingabefeld mit dem Platzhalter-Text »Gib eine Nachricht ein.« Allein dieser kurze Platzhalter füllt schon knapp die halbe Zeile.
»Ich bin leer. Komm, füttere mich mit acht bis neun Wörtern, aber bitte keine allzu langen!« – dieses WhatsApp-Feld wird zwar größer, wenn man mehr tippt, lädt aber in keiner Weise dazu ein, mehr als einen Einzeiler zu schreiben.

In der Regel ist auch nicht ersichtlich, ob man in so einem Feld mehrere Absätze schreiben kann oder ob ein Druck auf die Enter- oder Return-Taste stattdessen die Nachricht absendet, wie das in einzeiligen Textfeldern sonst eigentlich üblich ist. Wer es wagt, etwas mehr zu schreiben, produziert deshalb oft einen unstrukturierten Textwall.

Dezentral ist nicht egal

Neben Asynchronität ist auch Dezentralität ein wesentliches E-Mail-Merkmal. Das bedeutet, dass es keine einzelne Firma oder Institution gibt, die Macht über das gesamte E-Mail-System hat. Eine vergleichbare Unabhängikeit muss man bei E-Mail-Alternativen lange suchen.

Für die meisten Endnutzer klingt das auf den ersten Blick wahrscheinlich irrelevant. Wen kümmert es schon, wer im Hintergrund die Strippen zieht? Solange alles funktioniert und die Weltbevölkerung händchenhaltend um einen Regenbogen tanzt, ist das doch egal.

Aber spätestens dann, wenn der ganze Service vorübergehend ausfällt oder für immer dicht gemacht wird, ist die Hölle los. Als WhatsApp 2022 mal für einen halben Tag komplett tot war, gab es einen Medienrummel inklusive Liveticker auf der RTL-Website.

Bei E-Mails ist das dank Dezentralisierung kein Thema. Hier können spontan höchstens einzelne Anbieter ausfallen, was zwar für deren Nutzer auch ärgerlich, für E-Mails als Medium aber unerheblich ist – schließlich gibt es dann immer noch Unmengen anderer Anbieter. E-Mails können deshalb systembedingt nur einen langsamen, schleichenden Tod sterben, aber nicht wie die meisten Mitbewerber von heute auf morgen verschwinden.

Login-Fenster mit der Überschrift »8UNG WEBMAIL LOGIN«.
Auf dieser Website (Archivaufnahme) hatte ich vor rund 20 Jahren einmal eine E-Mail-Adresse. Den Anbieter gibt es schon lange nicht mehr, aber E-Mails verwende ich heute intensiver als jemals zuvor.

Dezentral und freie Wahl

Eng mit der Dezentralität verbunden sind auch wesentlich größere Freiheiten. Allein die Tatsache, dass ich nicht auf Gedeih und Verderb einem einzelnen Anbieter ausgeliefert bin, eröffnet zusätzliche Möglichkeiten.

Von der WhatsApp-Nutzung hatten mich jahrelang mehrere Gründe abgehalten. Einer davon war die Tatsache, dass ich als Linux-Nutzer mit einem alten Blackberry-Smartphone kaum eine technische Möglichkeit dazu hatte – nicht etwa, weil meine Systeme schlecht wären, sondern nur deshalb, weil WhatsApp keine Motivation hatte, mir ein brauchbares Angebot zu machen.

Mittlerweile nutze ich die Web-Version, die ich aber nur einrichten konnte, indem ich erst einmal in einer virtuellen Maschine Android und darauf WhatsApp installiert hatte, um mir darüber dann einen Bestätigungscode per SMS auf mein Smartphone zusenden zu lassen. Diese virtuelle Maschine muss ich auch jetzt noch regelmäßig starten, um die Verknüpfung zur Web-Version wieder neu herzustellen.

Zwei Programmfenster. Eines davon ist der Browser Firefox, in dem web.whatsapp.com geöffnet ist und einen Bestätigungs-Code anzeigt. Das zweite Fenster ist eine Android-Installation in der Virtuellen Maschine Virtualbox; hier muss der Code eingegeben werden.
WhatsApp im Web, aber nur über Umwege. Es heißt wohl aus gutem Grund WhatsApp und nicht WhatsWeb.

Diese Einschränkung ist vollkommen künstlich und willkürlich. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Webversion nicht ganz für sich alleinstehend funktioniert und damit ohne Umwege jedem beliebigen webfähigen Gerät offen steht. Bei E-Mail-Anbietern mit Weboberfläche klappt das schließlich schon seit Anbeginn der Zeiten.

Mehr noch: E-Mails kann ich üblicherweise sogar in einem E-Mail-Programm meiner Wahl empfangen und versenden. Dort habe ich Freiheiten, von denen andere Kommunikationskanäle nicht einmal träumen können. Wenn ich Lust und Laune – und die notwendige Fachkompetenz – dazu hätte, könnte ich mir sogar selbst etwas programmieren, um mit E-Mails alles zu machen, was man sich nur vorstellen kann.

Zu den E-Mail-Programm-Funktionen, die ich persönlich keinesfalls missen will, gehört das Anlegen von benutzerdefinierten Ordnern und Filterregeln. Damit kann ich recht zuverlässig einrichten, dass eingehende Nachrichten so vorsortiert werden, wie es mir persönlich am meisten hilft.

E-Mail-Filter mit dem Titel »Dem Tod ein Schnippchen schlagen«. Einstellungen: Wenn die Von-Adresse mit »@jenseits.tod« endet und der Betreff den Text »Deine Zeit ist gekommen« enthält, soll die Nachricht in den Ordner »Lästige Gesellen« verschoben und mit der Priorität »Sehr niedrig« markiert werden.
Eine hilfreiche Filterregel im E-Mail-Programm Thunderbird.

In den meisten Alternativ-Medien, die ich bisher genutzt habe, gibt es dagegen nur Gruppen oder Kanäle, die einem großteils von anderen aufs Auge gedrückt werden und in denen man alle Mitteilungen so fressen muss, wie sie herein kommen.

Effektiv durch Selbstverwaltung

Ja, eigene Ordner und Filterregeln anzulegen kann zugegeben aufwändig sein, aber Selbstverwaltung ist aus meiner Sicht eine Grundvoraussetzung, um mit einem asynchronen Medium in größerem Maßstab effektiv arbeiten zu können. Dort, wo ich nichts markieren, verschieben und sortieren kann, bin ich darauf angewiesen, entweder jede Mitteilung sofort zu bearbeiten, oder ich muss mir irgendwo abseits dieses Systems separat Notizen machen, womit der ach so moderne E-Mail-Ersatz zurück in die Computer-Steinzeit führt; die gelben Notiz-Zettelchen am Röhrenmonitor lassen grüßen.

Leider dürften aber selbst große Online-Plattformen diesen Selbstverwaltungs-Aspekt nicht verstehen … oder davon ausgehen, dass ihn ohnehin niemand beherrscht. So spammen sie einen gerne mit E-Mail-Erinnerungen zu Themen zu, die man ohnehin noch auf der Agenda hat.

Ja, LinkedIn, ich weiß, dass ich noch unbeantwortete Kontaktanfragen habe! Ich weiß aber auch, dass mir diese Leute nur irgendetwas aufschwatzen wollen, und habe das deshalb bewusst mit unterster Priorität eingestuft. Mich mit einer automatischen E-Mail an diese Keiler zu erinnern, ist so ziemlich das Letzte, was ich brauche.

Tägliche E-Mails von Facebook im Zeitraum von 05.10.2013 bis 10.10.2013, der Betreff lautet die ersten zwei Tage »Michael, du hast 5 Veranstaltungseinladungen«, dann wurden daraus sechs Einladungen und dann folgte zwei Tage aufeinander die Verständigung »Michael, du hast ungelesene Benachrichtigungen«.
Auch Facebook war der Meinung, mich täglich an Dinge erinnern zu müssen, die mich nicht interessieren. Zum Glück konnte ich das auf der Plattform abstellen.

Neben den Leuten, die stolz auf ihre fragwürdigen Arbeitszeiten sind, gibt es auch solche, die voller Stolz die Anzahl ihrer ungelesenen E-Mails herumposaunen. Während sie selbst das offenbar für ein Indiz ihrer Wichtigkeit halten, könnte das – ohne weitere Details zu kennen – genauso gut ein Indiz für Inkompetenz in Sachen Selbstverwaltung sein. Ein Posteingang voller Fanpost ist schließlich etwas Anderes als ein Posteingang voller Viagra-Werbung.

Ein Medium für alle

Was an diversen Kommunikations-Medien auch ganz gerne überschätzt wird, ist ihre tatsächliche Reichweite. Neben den schon erwähnten System-Beschränkungen haben sich auch in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedliche Medien durchgesetzt.

Während etwa bei uns im deutschsprachigen Raum WhatsApp immer mehr zur Selbstverständlichkeit wird, ist diese App ausgerechnet in ihrem Heimatland, den USA, relativ bedeutungslos. Und in China ist WhatsApp – wie fast alles, wofür die Behörden keinen Generalschlüssel haben – gleich komplett gesperrt.

Aber man muss gar nicht erst in fremde Länder schauen. Manch geistiger Horizont reicht gerade mal bis zur Bürotür. So haben tatsächlich schon Leute E-Mails für tot erklärt, weil es ja so etwas wie Slack gibt – ein Werkzeug, das eigentlich nur für die Kommunikation innerhalb von Arbeitsgruppen gedacht ist. Ja, vor Spam ist man in so einem abgekapselten System natürlich gut geschützt, vor Kundenanfragen und Kooperationsanbahnungen allerdings auch.

Wenn man in irgendeiner Weise externe Kontakte hat oder haben könnte, kommt man bis heute nur schwer um E-Mails herum, weil das nun mal der kleinste gemeinsame Nenner ist. Jedes weitere Medium für Textkommunikation bildet dann bloß eine Parallelstruktur zu dem, was man ohnehin schon hat.

Slack selbst ist sich seiner untergeordneten Rolle immerhin bewusst. So werden mir bestimmte Slack-Nachrichten automatisch auch per E-Mail weitergeleitet und ich habe damit keine Notwendigkeit, neben meinem E-Mail-Programm auch noch den ganzen Tag über Slack geöffnet zu halten.

E-Mail von Slack, die neue Beiträge der Plattform beinhaltet.
Kein Grund zur Zweigleisigkeit: Die Plattform namens Slack hat mir neue Nachrichten einfach per E-Mail weitergeleitet.

Generell ist mein E-Mail-Programm eine Sammelstelle für Mitteilungen aus allen erdenklichen Quellen, seien es automatische Benachrichtigungen von diversen Plattformen, Newsletter oder persönliche Mitteilungen. Außerdem kann ich hier auch beliebig viele E-Mail-Adressen in einer einheitlichen Oberfläche verwalten; derzeit sind es sieben Adressen und noch ein paar Alias-Namen; Privates, Studium, Arbeit – alles einheitlich unter einem Dach.

Telefonnummer? Wozu?

Was WhatsApp gerne hoch angerechnet wird, ist die Eigenschaft, dass es die Telefonnummer zur Identifikation hernimmt. Deshalb ist es gleich nach der Installation auf einem Smartphone voll einsatzfähig und man muss mit Bekannten keine zusätzlichen Details austauschen.

Obwohl ich zugeben muss, dass das deutlich einfacher ist als die Einrichtung und Pflege einer E-Mail-Adresse, halte ich es dennoch aus mehreren Gründen für eine haarsträubende Idee:

  • Schreiben funktioniert auf einem PC mit physischer Tastatur, Maus und großem Monitor wesentlich besser als auf einem Hosentaschen-Kino. Am PC habe ich aber keine Telefonnummer und mein Smartphone ist ein separates Gerät, das in meinem persönlichen Fall mit 99 Prozent meiner schriftlichen Kommunikation absolut nichts zu tun hat. Da könnte ich meine Online-Identität genauso gut von meiner Schuhgröße abhängig machen.
  • Man kann sich relativ einfach beliebig viele E-Mail-Adressen anlegen und somit unterschiedliche Nutzungszwecke voneinander trennen. Mit Telefonnummern geht das nicht so einfach, zumal jede einzelne Nummer auch laufende Kosten verursacht.
  • Es scheint zunehmend in Vergessenheit zu geraten, dass eine Telefonnummer benutzt werden kann, um jemanden anzurufen.

    Ein spontaner Anruf ist die aufdringlichste Kontaktmöglichkeit, die es gibt. Aus diesem Grund war meine Telefonnummer immer das Letzte und Intimste, was irgendjemand von mir bekommen hat. Jetzt aber betrachten es Leute als selbstverständlich, gleich beim ersten Kontakt mein »WhatsApp« zu bekommen. Und das alles geschieht ironischerweise vor dem Hintergrund, dass junge Menschen heutzutage größere Telefonier-Muffel sind als jemals zuvor.

Typischerweise teilt man mit der Nutzung von WhatsApp auch sein gesamtes Telefonbuch mit Meta, dem Mutterkonzern von Facebook. Ich kenne tatsächlich Leute, die jahrelang überheblich über die naiven Deppen mit Facebook-Account gelacht hatten, dann aber mit der Installation von WhatsApp nicht nur ihre eigene Nummer, sondern auch die all ihrer Bekannten mit dem Konzern geteilt haben. Herzlichen Dank dafür – als Depp mit Facebook-Account war meine Telefonnummer bis dahin ganz bewusst eine Information, die Facebook nicht von mir hatte!

100-Artikel-Jubiläum: Neues per E-Mail

Dieser Artikel markiert übrigens ein besonderes Jubiläum: Es ist der hundertste Artikel, der hier auf WIESOSO erscheint!

Das Thema dieses Artikels habe ich deshalb passend zu einem Jubiläums-Update gewählt. Während man bisher schon via Newsfeed (RSS) und Social-Media-Kanälen über neue WIESOSO-Artikel auf dem Laufenden bleiben konnte, gibt es ab sofort auch die Möglichkeit, per E-Mail informiert zu werden.

Ich bin ja nach wie vor der Meinung, dass Newsfeeds aus technischer Sicht die beste Lösung für solche Anwendungsfälle sind, aber da die schon immer ein Nischenprodukt waren, stehe ich damit genauso auf verlorenem Posten wie Leute, die irgendwelche Insellösungen für den ultimativen E-Mail-Ersatz halten.

Social-Media ist dem gegenüber zwar extrem populär, aber nur mäßig für meine spezifischen Inhalte geeignet. Wenn man, wie ich, ein Mal im Monat einen längeren Artikel schreibt und teilt, geht der dort in der Masse unter. Ob er überhaupt irgendjemandem angezeigt wird, ist ganz der geheimen Algorithmus-Magie überlassen. Im Endeffekt fehlt auch diesen Medien alles, was E-Mails so gut und beständig macht.

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