Führung durch das Dull Home

Das sogenannte Smart Home (smart = schlau, pfiffig) ist in aller Munde. Doch bevor man sich übereilt in das Smart Home stürzt, sollte man sich erst einmal Gedanken zum Dull Home (dull = dumm, langweilig) machen.

Schwarz-weiß-Bild aus meinem Vorzimmer
Mein Vorzimmer, meine Wohnungstür, mein Müllbeutel. Das smarteste in diesem Raum sind die Kakerlaken im Müll.

Ach, es klopft an der Tür. Mein Besuch ist da. Hat er die Klingel nicht gesehen oder ist die Batterie schon wieder leer?

Willkommen in meiner bescheidenen Wohnung! Was? Du bekommst die Wohnungstür nicht zu? Zieh' einfach ein bisschen fester! Manchmal klemmt sie witterungsbedingt ein bisschen. Rumms! Also so fest hättest du auch wieder nicht ziehen müssen.

Was? Dir platzt die Blase? Na da hast Du es nicht weit. Gleich da ist das WC. Aber sperr' die Tür besser nicht ab, wenn du auch wieder herauskommen willst! Die Absperrung ist nicht mehr die neueste und klemmt manchmal. Ja, genauso wie die Wohnungstür. Ich bin halt ein verklemmter Typ mit einer verklemmten Wohnung.

Bis auf die Klospülung. Die klemmt nicht. Ganz im Gegenteil – die ist seit ein paar Monaten etwas undicht und rinnt dauernd. Ich drehe deshalb immer die Wasserzufuhr ab. Du musst sie also erst wieder aufdrehen, mit dem Ventil da an der rechten Seite. Ja, genau das.

So. Alles erledigt? Dann kann es ja weitergehen. Hier ist mein Wohnzimmer. Ja, der Fernseher ist steinalt. Er funktioniert auch nicht mehr. Der steht nur noch da herum, weil ich ihn nicht allein bis zum Mistplatz schleppen kann. Diese Röhrendinger haben noch Qualität. Und mit »Qualität« meine ich Gewicht.

Röhrenfernseher
Kiloweise Qualität aus dem Jahr 1991.

Wenn ich Videos sehen will, mache ich das stattdessen über den PC. Nein, kein Netflix. Ich alter Billigheimer gebe mich mit kostenlosen Videoportalen zufrieden. Ja, auch YouTube – wobei YouTube oft meinen Firefox lahmlegt. Da weiche ich dann immer auf Chromium aus. Nein, ich weiß auch nicht, an was das liegt. Aber es wird mir sowieso nicht erspart bleiben, den PC mal wieder neu aufzusetzen. Wenn ich ihn in den Ruhemodus versetze, wacht er nicht mehr auf, die Bildvorschau funktioniert nicht mehr und der Support für das Betriebssystem läuft auch demnächst aus.

Platzhaltergrafiken
Bildvorschau war einmal. Statt Vorschaubildern zeigt mir mein PC in gewissen Fällen nur noch Platzhalter an.

Ich nutze den PC übrigens nicht nur als Ersatz-Fernseher, sondern auch als Radio. Klassischen Rundfunk höre ich nur noch in der Früh durch meinen Radiowecker. Dort ärgere ich mich jedes Mal über das grenzdebile Programm, aber ich bekomme nunmal nur einen Sender vernünftig rein. Am PC stehen mir stattdessen Unmengen an Streams offen. Die fallen zugegeben auch oft aus, aber in der Unmenge an Angeboten finde ich zumindest jedes Mal recht schnell wieder etwas Brauchbares.

Stattdessen kann ich mir auch etwas aus meiner MP3-Sammlung anhören. Aber da muss ich zwischendurch oft am Lautstärkeregler herumdrehen, weil diese Titel überhaupt nicht aufeinander abgestimmt sind. Die sind halt über etliche Jahre aus allen möglichen Quellen zusammengesammelt.

Ob ich mit diesen uralten PC-Lautsprechern Musik höre? Oh ja! Ich weiß: Da stellt es audiophilen Menschen die pilzbefallenen Fußnägel auf, aber mir reicht das in der Regel. Mein PC ist aber auch mit der Musikanlage unter dem kaputten Fernseher verbunden. Wenn ich die einschalte, habe ich auch dort den PC-Sound.

Meine alte Anlage habe ich oft mit den PC-Lautsprechern parallel betrieben – das hat einen recht schönen Raumklang ergeben. Aber mit der neuen funktioniert das aus irgendeinem Grund nicht mehr – da höre ich jetzt immer zwei getrennte Schallquellen heraus. Das macht mir Kopfschmerzen. Deshalb heißt es jetzt nur noch: entweder – oder.

Jetzt, wo ich dich da im Schatten stehen sehe, fällt mir wieder ein, dass ich noch den Leuchtspot über dir wechseln wollte. Der ist schon vor Wochen ausgefallen, aber ich vergesse ständig darauf.

Was? Du findest es ganz schön frisch bei mir? Na, so viel Wärme wird durch den fehlenden Leuchtspot ja hoffentlich doch nicht verloren gegangen sein. Na bitte, 18,8 Grad, sagt der Thermometer. Das ist für mein Wohnzimmer eh normal.

An der gegenüberliegenden Wand habe ich noch einen Thermometer und der sagt momentan … aha, gar nichts sagt er. Sind wieder mal die Batterien leer. Komisch, diesmal hat er gar nicht geschrien. Normalerweise piepst er regelmäßig, wenn ihm der Saft ausgeht – erfahrungsgemäß mitten in der Nacht. Das Ding würde mir normalerweise auch die Außentemperatur anzeigen, aber aus irgendeinem Grund bekommt es das Signal nicht. Lange habe ich geglaubt, dass es funktioniert, aber als ich dann mal den Sender in der Wohnung hatte, sind mir noch immer die winterlichen Außentemperaturen angezeigt worden. Da habe ich damals offenbar ein fremdes Signal angezapft.

Wo der Sender jetzt ist? Den habe ich vor dem Schlafzimmerfenster. Hier entlang. Er funktioniert zwar nicht als Sender, aber weil er auch selbst eine Anzeige hat, benutze ich ihn als einfachen Außenthermometer. Zum Ablesen ist er vielleicht etwas ungünstig montiert, aber es war halt wesentlich einfacher, ihn um 90 Grad verdreht hier anzubinden.

Außenthermometer
Mein Außenthermometer ist um 90 Grad gedreht am Geländer vor dem Schlafzimmer angebunden. Wer flexible Halswirbel hat und auch bei geringen Kontrasten ganz gut sieht, kann hier die Temperatur ablesen.

Und ja, jetzt kann ich es verstehen, wenn dir kalt ist. Mal sehen, was der Innenthermometer hier im Schlafzimmer sagt … ah ja, 16 Grad. Der Heizkörper für diesen Raum ist einfach viel zu klein. Wenn ich es hier warm haben will, muss ich rechtzeitig die Tür zum Wohnzimmer aufmachen.

Langsam! Wo willst du denn hin? Weg von hier? Jetzt warte doch! So schlimm ist es hier doch wirklich nicht. Ach, jetzt geht das Licht im Vorzimmer wieder nicht an. Da haben wir vorhin den falschen Schalter … RUMMS! Also so fest hätte mein Besuch die Eingangstür auch wieder nicht zuziehen müssen.

Vom Dull Home zum Smart Home

Jetzt fragst Du als Leser Dich möglicherweise, worauf diese Geschichte hinausläuft. Der Besuch ist zugegeben erfunden, aber alle berichteten Mängel waren zumindest zu einem fixen Zeitpunkt im vergangenen Jahr real. Und dieser Mängelbericht ist noch lange nicht vollständig.

Vielleicht ist meine Wohnung nicht das beste Beispiel – immerhin wohne ich allein und habe nur selten Besuch. Da fallen einem gewisse Dinge nach einiger Zeit gar nicht mehr auf. Aber die Chancen stehen gut, dass Dir zumindest das eine oder andere Problem in ähnlicher Form bekannt vorkommt.

Der springende Punkt ist nun folgender: Meine Wohnung ist ganz bestimmt nicht das, was man als Smart Home, also intelligentes und vernetztes Zuhause, bezeichnen würde. Die Technisierung hält sich sehr in Grenzen, aber wie man sieht, sind gerade die technischen Bestandteile meiner Wohnung jene, die das meiste Potenzial für Fehler und Probleme mitbringen.

Was uns heutzutage als Smart Home verkauft wird, zielt jetzt nicht etwa auf solche Dinge wie Zuverlässigkeit ab, sondern stopft jedes noch so einfache Element mit technischen Zusatzfunktionen voll. Man kann sich ausmalen, wie die obige Geschichte wohl aussähe, hätte ich solche Dinge wie Lampen mit Farbeinstellungen, ein automatisches Türschloss oder einen Kühlschrank mit Internetanbindung. Wahrscheinlich wäre ich bei flackerndem Disco-Licht eingesperrt, während auf der anderen Seite der versperrten Tür ein Lieferant mit 400 Hühnereiern steht und klopft, weil die Klingel noch immer nicht funktioniert.

Die Ursachen allen Übels

Warum ist Technik im Wohnraum nun aber potenziell so problembehaftet? Die Ursachen sind sehr vielfältig, aber ein paar wesentliche sind sicher die folgenden:

  • viele Funktionen = viele Fehlerquellen
    Gerade die Funktionsvielfalt in sogenannten smarten Geräten ist ein zweischneidiges Schwert. Ein Gerät, das nur eine einzige Funktion erfüllt, kann auch nur in dieser einzigen Funktion versagen und muss dann repariert oder ersetzt werden. Ein Multifunktionsgerät aber kann in etlichen Punkten versagen und wird trotzdem oft weiter verwendet, weil der Rest noch funktioniert. Ein Kompass, der nicht nach Norden zeigt, ist nur noch Müll (– sofern er nicht Jack Sparrow gehört). Aber ein Smartphone, das trotz vorhandenem Sensor nicht nach Norden zeigt, ist immer noch ein Smartphone, wenn auch eines mit einem Makel.
  • viel Elektronik = hohe Fragilität
    Möbel ohne Elektronik sind zwar nicht besonders »smart«, dafür aber robust. Mein Schreibtischsessel lässt sich nicht elektrisch verstellen, massiert mich nicht und fährt nicht in der Gegend herum. Aber wenn ich ihn aus einem überschwemmten Keller hole, funktioniert er danach wahrscheinlich noch genauso wie davor.
  • hohe Komplexität = schwierige Reparierbarkeit
    Wenn ein einfacher Klapptisch nicht mehr auseinander klappen will, stehen die Chancen gut, dass man ihn mit ein bisschen handwerklichem Geschick reparieren kann. Mitunter muss nur irgendwo etwas geradegebogen oder ein altes Scharnier ausgetauscht werden. Wenn der Tisch sich aber normalerweise per App automatisch in verschiedene Stellungen bringen lässt, sollte man besser Mechaniker, Elektrotechniker und Informatiker in Personalunion sein.
  • Strombedarf = Unzuverlässigkeit
    Vor allem dort, wo Batterien und Akkus zum Einsatz kommen, ist die Technik ziemlich unzuverlässig. Ich habe mir mittlerweile angewöhnt, beim Nach-Hause-kommen regelmäßig bei mir selbst anzuläuten, um zu testen, ob die Klingel noch funktioniert. Aber auch mit einem fixen Stromanschluss kann es rasch unangenehm werden, wenn sich etwa eine Tür nicht mehr öffnen lässt oder Gasgeräte wie Herd und Heizung nicht mehr anspringen.
  • rasante Fortschritte = rasante Alterung
    Technik ändert sich – und zwar ziemlich schnell. Alle zwei Jahre ein neues Smartphone zu kaufen, ist ein Aufwand, den sich viele leisten können. Alle zwei Jahre die Wohnung komplett neu einzurichten, werden dagegen nur wenige Haushaltsbudgets hergeben. Da kann es dann recht rasch vorkommen, dass man keine Ersatzteile mehr bekommt oder neue Geräte nicht mit älteren kompatibel sind.
  • immer online = immer abhängig
    Produkte für das Smart Home überschneiden sich oft mit dem sogenannten Internet of Things. Mit anderen Worten: Jeder Mumpitz hängt am Internet und ist oft sogar abhängig davon. Da kann es dann gerne mal sein, dass der smarte Fernseher nach ein paar Jahren plötzlich gar nicht mehr so smart ist, weil der Hersteller beschlossen hat, die Server abzuschalten.

Man sollte auch ganz allgemein immer damit rechnen, dass irgendwo gespart, gepfuscht oder einfach nur versagt wird. Viele Medien malen vom Smart Home ein Bild vom rosaroten Zuckerwatteland, in dem immer alles perfekt funktioniert – in Wahrheit scheitert es aber oft schon an der Installation. Da kommt es schon mal zu konkreten Fällen, in denen etwa das Einrichten eines Wasserkochers elf Stunden dauert.

Das Smart Home als Bastlerheim

Wohnraum verursacht immer auch Arbeit. Das ist eine Tatsache, von der wahrscheinlich vor allem jene Leute ein Lied singen können, die irgendwann einmal der Meinung waren, sich den Traum vom eigenen Haus erfüllen zu müssen.

Auch der österreichische Kabarettist und Schauspieler Roland Düringer hat diese Erfahrung gemacht und sagt dazu: »Es macht einen Unterschied, ob du eine Türschnalle hast, die kaputt werden kann – oder 25 Türschnallen, die du irgendwann einmal reparieren musst. Und ich habe gemerkt, dass mich 25 Türschnallen zum Sklaven meines eigenen Hauses gemacht haben.« (Quelle: derstandard.at, Anmerkung für nicht-österreichische Leser: Türschnalle = österreichisch für Türklinke)

Düringer hat nach dieser Erkenntnis Nägel mit Köpfen gemacht und ist in einen 28-Quadratmeter-Holzwohnwagen umgezogen. Ein radikaler Schritt, aber es muss jeder für sich selbst entscheiden, wie viel Aufwand einem der eigene Wohnraum wert ist. Sein Zuhause zu einem Smart Home zu machen, ist eine Entscheidung, die diesen Aufwand enorm erhöht. Dem sollte man sich bewusst sein und erst dann entscheiden, was man wirklich als vorteilhaft empfindet.

Ich will Dir freilich nicht ausreden, Dir ein Smart Home einzurichten. Ich will nur verdeutlichen, dass so etwas dauerhafte Arbeit bedeutet. Wenn Du technisch geschickt bist und das Herumwerken im Haus als Hobby betrachtest, spricht nicht viel gegen Technik in jeder Teppichfaser. Und wenn Du so unverschämt reich bist, dass Du diese Arbeit anderen Leuten umhängen kannst, könnte ein voll ausgestattetes Smart Home auch etwas für Dich sein. In allen anderen Fällen solltest Du Dir aber doch überlegen, ob Du Dich nicht nur auf ein paar wenige technische Spielereien beschränkst.

Das Smart Home als Pflegeheim

In einem besonderen Fall könnte ein voll technisierter Wohnraum auf jeden Fall sinnvoll sein: Nämlich als Ersatz für ein Pflegeheim. So eine Wohnung könnte einem etwa beim Aufstehen helfen oder erkennen, wenn ihre Bewohner stürzen und bei Bedarf Hilfe rufen. Wenn hier ein Mal pro Woche ein Techniker für Kontroll- und Wartungsarbeiten vorbeikommt, wäre zumindest der Personalaufwand geringer als bei einer 24-Stunden-Betreuung durch Pflegepersonal. Üblicherweise spricht man in so einem Fall aber nicht von einem Smart Home, sondern von Ambient Assisted Living – kurz AAL. Den Smart-Home-Anbietern wird eine solche Trennung wohl recht sein, denn nach einem coolen Trend für hippe Leute mit locker sitzender Geldbörse klingt das in dieser Form nicht mehr.

Kommentare

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Bisherige Kommentare

  • Anton

    Guter Artikel! Ich bleib bei meinem Stupid Home... :) Für den laut brummenden Kühlschrank habe ich dieselbe ultimative Lösung wie für den klickenden Heizkörper: Dagegentreten! Funktioniert immer.

    • Michael Treml (Seitenbetreiber)

      Antwort an Anton:

      Oh ja, Kühlschränke und Tiefkühltruhen haben oft eine lustige Geräuschkulisse. Ich hatte in meiner Kindheit lange eine Tiefkühltruhe direkt neben dem Bett stehen, die mich manchmal fast in den Wahnsinn getrieben hat.