Intuitive Wasserhähne müssen erst noch erfunden werden
Seit vielen Jahren läuft im Kinderprogramm des ORF (Österreichischer Rundfunk) die Rätselserie »Tom Turbo«. Weil ich dank Satellitenfernsehen aber großteils mit anderen Sendern aufgewachsen bin, hatte ich diese Serie, wenn überhaupt, bestenfalls bei meinen Großeltern gesehen.
Sie hatte mich auch nie sonderlich begeistert, weil ich den namensgebenden Titelhelden schon damals äußerlich mehr verstörend als lustig fand. Abgesehen von Toms grotesker Clownsvisage kann mich an praktisch nichts erinnern, außer an ein Rätsel: Es ging darum, zu erraten, in welche Richtung man einen Wasserhahn drehen muss, damit er Wasser spendet.
Klingt banal, schließlich macht man das schon als Kind jeden Tag. Aber gerade dadurch war diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Das sind Bewegungsabläufe, die man im sogenannten motorischen Gedächtnis hat – mit anderen Worten: Man denkt gar nicht mehr bewusst darüber nach, was man da eigentlich macht.
Seit damals habe ich mich immer wieder einmal spontan an diese Szene erinnert, wenn ich vor Wasserhähnen gestanden bin … und kam mir plötzlich vor wie ein Neandertaler, der diese unintuitiven Dinger zum ersten Mal bedient.
Begrifflichkeiten: Es kräht das Ventil am Morgen
Erst mal zu ein paar Definitionen, damit klar wird, wovon ich hier genau rede.
»Wasserhahn« ist eigentlich ein recht irreführendes, umgangssprachliches Wort. Ich selbst hätte als Hahn eigentlich immer das Rohr bezeichnet, aus dem das Wasser kommt. In Wahrheit ist »Hahn« aber eine Kurzform von »Absperrhahn« und bezeichnet die Dinger, mit denen man die Wasserzufuhr regelt.
Aber selbst hier ist das Wort »Hahn« genaugenommen fehl am Platz, denn ein Absperrhahn kennt nur zwei Zustände: offen oder geschlossen. Die stufenlosen Regler, die wir üblicherweise an Wasserarmaturen haben, sind in Wahrheit eigentlich Ventile.
Jetzt kommt noch hinzu, dass meine Tom-Turbo-Anekdote schon einige Jahre zurückliegt und damals noch Armaturen die Regel waren, bei denen man zwei separate Ventile zum Drehen hatte: eines für Kaltwasser und eines für Warmwasser.
Armaturen, die Warm- und Kaltwasser mischen, bezeichnet man wiederum als Mischarmatur oder Mischbatterie.
Ich hoffe, dass mir zumindest alle Nicht-Installateure nachsehen können, dass ich eingangs zur Vereinfachung nur von »Wasserhähnen« gesprochen habe … und nicht von Wasser-Mischbatterien mit zwei getrennten Ventilen. Aber für den Rest dieses Artikels wird ein wenig Präzisierung hilfreich sein.
Drehrichtung: im Kreis
Informiert man sich im Web über die Drehrichtung von »Wasserhähnen« wird auf diversen Seiten ganz gerne von einer Drehung nach links oder nach rechts geschrieben. Nach rechts dreht man zu, nach links dreht man auf.
Das mag technisch auch korrekt formuliert sein, aber wenn man diese Fachsprache nicht verinnerlicht hat, stellt sich mitunter die Frage: Was ist eine Drehung nach rechts? Eine Drehung führt schließlich nicht geradlinig in eine Richtung, sondern im Kreis. Wenn man ein Ventil so dreht, dass es sich an einer Seite nach rechts bewegt, bewegt man es gleichzeitig an der entgegengesetzten Seite nach links.
Selbst wenn man verinnerlicht hat, dass die »obere« Seite zählt, ist das nur bedingt hilfreich, denn Wasserventile hat man im Gegensatz zu etwa einem Lenkrad nur selten frontal vor sich. Wo ist dann »oben«?
Bei einer Armatur mit zwei Ventilen an den Seiten bedeutet »Rechtsdrehung«, die mir zugewandte Seite des rechten Ventils nach oben zu drehen und die des linken Ventils nach unten. Bei einer reinen Kaltwasserarmatur mit einem einzelnen Ventil in der Mitte muss man für eine »Rechtsdrehung« die zugewandte Ventilseite nach links drehen.
Eingängiger erscheinen mir deshalb die Bezeichnungen »im Uhrzeigersinn« und »gegen den Uhrzeigersinn«. Im Uhrzeigersinn dreht man zu, gegen den Uhrzeigersinn dreht man auf.
Wider die Regel und doch nach Norm
Egal ob man nun von Links-/Rechtsdrehung oder vom Uhrzeigersinn spricht, stellt sich die Frage, warum sich die Ventile so verhalten, wie sie es tun – und nicht umgekehrt.
So ziemlich alle Geräte, die man sonst in einem Haushalt findet, folgen der entgegengesetzten Logik. Wenn man Uhren, Lautstärkeregler, Thermostate und so weiter betrachtet, dann bedeutet eine Drehung im Uhrzeigersinn immer mehr: mehr Zeit, mehr Lautstärke, mehr Hitze … aber weniger Wasser.
Wenn man den Begriff Rechtsdrehung verwendet, dann ist es zumindest in unserem westlichen Kulturkreis auch intuitiv, dass man in diese Richtung mehr bekommt. Schließlich ist das unsere Leserichtung.
Trotzdem ist die Drehrichtung von Ventilen keineswegs willkürlich gewählt, sondern hat ergonomische Gründe in der Mechanik. Klassische Regler basieren auf Gewinden und diese werden bevorzugt als Rechtsgewinde ausgeführt, weil das für Rechtshänder – also die Mehrheit aller Menschen – vorteilhaft ist. Die vermeintlich verkehrte Logik von Wasserventilen gilt deshalb auch für Schraubverschlüsse und vieles mehr.
Nichtsdestotrotz dürfte sich der ergonomische Vorteil bei Wasserarmaturen in Grenzen halten. Ich konnte jedenfalls in einer spontanen Web-Suche keine Linkshänder-Armaturen mit Linksgewinde finden.
Heißkalte Verwechslungen
Die klassischen Wasser-Armaturen mit zwei getrennten Ventilen bekommt man heute nur noch relativ selten zu sehen. Verbreiteter sind die sogenannten Einhebelmischer, die, wie der Name schon sagt, einen einzelnen Hebel haben, mit dem man sowohl die Stärke als auch die Temperatur regelt.
Das Problem, das ich bisher beschrieben habe, ist damit grundsätzlich gelöst. Denn hier gilt nun: je höher der Hebel, desto höher die Wassermenge. Das klingt so logisch, dass es für Tom Turbo ein wenig gar unterfordernd gewesen wäre.
Allerdings gibt es noch eine zweite Dimension, die ich bisher komplett ausgelassen habe: die Temperatur. Diese ist erst recht wieder gegensätzlich zu allem, was wir sonst gewohnt sind. Von links nach rechts wird die Temperatur weniger statt mehr. Und da es sich hier um kein einfaches Drehventil mehr handelt, kann man sich auch nicht mehr auf die Mechanik ausreden.
Im Prinzip könnte man bei der Montage einfach die zwei Anschlüsse für Heiß- und Kaltwasser vertauschen. Weil aber die meisten Mischarmaturen fixe Markierungen für die beiden Wassertypen haben – typischerweise rot und blau – wäre so eine Vertauschung erst recht irritierend.
Außerdem würde es nur noch mehr Verwirrung stiften, wenn manche Armaturen anders als die bisherigen funktionieren würden. Nachdem sich das Heißwasser auf der linke Seite schon lange vor Einhebelmischern etabliert hatte, ist es schwer, davon jemals wieder wegzukommen.
Aber warum hat sich das überhaupt durchgesetzt? Angeblich sind auch auch daran wieder wir selbstsüchtigen Rechtshänder schuld. Als es ursprünglich nur kaltes Wasser gab, wurde das Ventil zu unserer Bequemlichkeit rechts angebracht. Als dann Heißwasserleitungen dazu kamen, war dafür nur noch links Platz.
Alles dreht sich, alles bewegt sich
Ein kleines Zusatzproblem ist mit Einhebelmischern neu entstanden: Bei schwenkbaren Armaturen können nun Verwirrungen auftreten, wo sich der Referenzmittelpunkt für die Temperatur befindet.
Meine Küchenarmatur hat ein sehr langes Ausgussrohr, das ich entweder ins Spülbecken oder auf die Fläche daneben schwenken kann, um zum Beispiel einen Topf zu füllen. Da der Hebel oben auf diesem Schwenkarm aufsitzt, stellt sich nun die Frage: Schwenkt er mit oder bleibt er starr? Bekomme ich mittelwarmes Wasser, wenn der Hebel direkt über dem Wasserrohr steht oder wenn er quer zum Spülbecken steht?
Selbst wenn man grundsätzlich weiß, dass der Hebel nicht mitschwenkt, kann das asymmetrische und verdrehbare Drumherum irritieren. Der Hebel sieht in der Regel nun mal weiter nach links gedreht aus, wenn das Ausgussrohr weit rechts davon steht.
Wassermenge und -temperatur separat
Eine interessante Alternative ist die sogenannte Thermostatmischarmatur. Hier hat man einen separaten Drehregler für die Wasserstärke und einen anderen für die Temperatur.
Das dürfte vor allem in Duschen gebräuchlich sein – vermutlich, weil man dort verhältnismäßig selten an der Temperatur herumdreht. In der Küche brauche ich heißes oder kaltes Wasser, je nachdem, ob ich Eier kochen oder abschrecken will. Im Badezimmer habe ich dagegen keine derartigen Absichten mit meinen Eiern.
Solche Armaturen dürfte es in sehr unterschiedlichen Formen geben, aber ich kenne vor allem diejenige, die an die klassische Mischarmatur mit zwei separaten Ventilen an den Seiten erinnert. Welches Ventil für die Temperatur zuständig ist, erkennt man üblicherweise daran, dass eine Temperaturskala angeschrieben ist und ein Sicherheitsknopf davor schützt, dass man dass Wasser versehentlich zu heiß macht.
Leider folgen auch diese beiden Regler der üblichen Ventil-Logik. Die Wassermenge wird zwar sinnvollerweise größer, je weiter man das linke Ventil nach oben dreht, aber wenn man das rechte Ventil hoch dreht, geht die Temperatur nach unten.
Mein Fazit lautet daher: Ein wirklich intuitiver »Wasserhahn« muss erst noch erfunden werden.
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Kommentare
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Bisherige Kommentare
Tony T
Da hätte ich so manche Leidensgeschichte beizusteuern ... Im Hotel hab ich mir letztens auch wieder versehentlich die Haare gewaschen, als ich glaubte, die Brause zu bedienen.
In Russland ist blau/rot interessanterweise oft genau umgekehrt, vmtl. achtet einfach beim Anschließen keiner auf die Farben. Das Highlight war eine Raststation, aus deren Wasserhahn am WC, wenn man Blau leicht aufgedreht hat, ein dicker Strahl kochend heißes Wasser gespritzt ist. Da verstand ich dann, warum ständig Schmerzensschreie aus dem WC kamen ..
Michael Treml (Seitenbetreiber)
Antwort an Tony T:
Danke für diese Einblicke! Da ich kaum auf Reisen bin, ist es immer spannend, auch ein paar solcher Berichte als Ergänzung zu lesen.