Die mittlere Maustaste gibt es noch, aber sie hat eine Identitätskrise

Computer-Mäuse haben zwei Tasten – eine linke und eine rechte … und dazwischen ein Scrollrad. Keine meiner Mäuse hatte jemals eine Mitteltaste, aber aus alten Legenden war mir bekannt, dass es so etwas früher einmal gegeben haben soll.
Erst nach Jahren intensiver Computer-Nutzung drückte ich einmal irgendwo beim Scrollen fester als sonst auf das Rad und machte eine überraschende Entdeckung: Nicht nur, dass dieser Druck ein sehr vertrautes Klick-Geräusch machte, nein, er löste sogar eine Funktion aus! In der Regel sind Mausräder nämlich gleichzeitig auch Tasten. Die legendäre Mitteltaste war also nie wirklich verschwunden.
Allerdings ist die Funktion dieser Taste nur selten so klar definiert wie jene ihrer beiden Nachbarn. In vielen Situationen bewirkt sie überhaupt nichts – was wahrscheinlich auch der Grund ist, wieso ich so lange gebraucht hatte, um sie zu entdecken. In anderen Situationen hat sie vor allem drei Funktionen, die sich aber gegenseitig in die Quere kommen können.

Die naheliegende Funktion: Scrollen
Wie gesagt, hatte ich die Taste ursprünglich beim Scrollen entdeckt. Das ist sicher wenig überraschend, da sie sich ja unter dem Scrollrad versteckt. Aus demselben Grund ist auch die erste Funktion, die ich so gefunden hatte, gar nicht überraschend: Man kann damit in manchen Programmen scrollen.
Klickt man einmal, erscheint ein kleines Symbol an der Zeigerposition. Bewegt man dann den Mauszeiger davon weg, scrollt man in die entsprechende Richtung. Mit einem weiteren Klick ist dieser Spuk wieder zu Ende.

Diese Funktion klingt im ersten Moment vielleicht überflüssig, weil der Scroll-Bedarf ja schon vom Drehen des Mausrades abgedeckt wird. Aber das Klick-Scrollen bringt einige Vorteile mit sich, die ich im Lauf der Jahre lieben gelernt habe:
- Im Gegensatz zum Mausrad gibt es keine Einrastpunkte, sodass man flüssig und präzise an jede beliebige Position scrollen kann.
- Die Scrollgeschwindigkeit richtet sich flexibel danach, wie weit man die Maus vom Scroll-Symbol entfernt. Wenn ich Schnarchnase schneller scrollen will, muss ich keinen Fingersport machen, sondern nur die Maus um ein paar zusätzliche Millimeter verschieben.
- Die Scrollbewegung wird fortgesetzt, solange die Maus an derselben Position bleibt. Damit kann man Inhalte in feinster Star-Wars-Intro-Manier konsumieren, ohne ständig eine Hand an der Maus haben zu müssen. Wer so wie ich nicht nur eine Schnarchnase, sondern auch ein Fresssack ist, weiß das Mittelklick-Scrollen wegen der freien Hände doppelt zu schätzen.
- Im Gegensatz zum Mausrad kann man vollkommen intuitiv nicht nur nach oben und unten, sondern auch nach links und rechts – und sogar diagonal – scrollen. Damit könnte man sogar Webseiten, die in die Breite gehen, auf vollkommen natürliche Weise erkunden.
Manches davon lässt sich traditionell auch mit Scrollbalken machen, aber seit diese Steuerelemente immer schmaler werden, braucht man eine Scharfschützen-Lizenz, um sie mit der Maus noch zuverlässig zu treffen. Die mittlere Maustaste als Scrollhilfe ist dagegen üblicherweise im gesamten Dokument direkt erreichbar.
Die effiziente Funktion: Tabs öffnen und schließen
Eine andere Funktion der mittleren Maustaste ist immerhin auch noch einigermaßen intuitiv, weil sie ähnlich wie ein Mausrad-Scrollen primär der Navigation dient: In diversen Programmen kann mit einem Mittelklick etwas in einem neuen Reiter öffnen.
Das ist insbesondere beim Surfen im Web praktisch. So kann ich etwa auf einer Übersichtsseite erst einmal alle interessanten Artikel mit einzelnen Mausklicks in neuen Tabs öffnen, um mir diese dann nacheinander anzusehen.

Konsequent – aber wahrscheinlich noch weniger Leuten bekannt – ist die Tatsache, dass man Tabs in der Regel auch wieder schließen kann, indem man sie mit der mittleren Maustaste anklickt. Das spart zwar im Gegensatz zum Öffnen keinen Klick, sorgt aber dafür, dass man auch hier keine Scharfschützen-Veranlagung braucht, um das kleine X im Tab zu treffen.

Grundsätzlich liebe ich auch diese Reiter-Funktionen sehr, allerdings bringen diese schon erste Konflikte mit der Scroll-Funktion mit sich. Manchmal will ich bloß scrollen, öffne aber stattdessen versehentlich irgendeinen Link, der zufällig gerade unter dem Mauszeiger ist. In anderen Fällen will ich einen Link öffnen, scrolle aber stattdessen wild über die Seite, weil ich knapp daneben geklickt habe oder weil der vermeintliche Link in Wahrheit gar keiner ist.
Dass die Taste gleichzeitig das Mausrad ist, wirkt sich auch negativ auf die Verlässlichkeit aus, wenn man etwas anklicken will. Manchmal dreht sich unbeabsichtigt das Rad, bevor der Klick ausgelöst wird; dadurch scrollen die Inhalte unter dem Mauszeiger davon und man klickt daneben – schlimmstenfalls nicht nur ins Leere, sondern auf einen falschen Link.
Die gefährliche Funktion: Text einfügen
Die letzte der drei großen Funktionen, die ich entdeckt habe, ist das automatische Einfügen von jenem Text, den man zuletzt irgendwo markiert hatte. Das heißt: Man markiert irgendwo einen Text und muss ihn nicht einmal in die Zwischenablage kopieren, aber sobald man in irgendeinem Programm, in dem man Text einfügen kann, die mittlere Maustaste betätigt, wird der zuletzt markierte Text an der Cursorposition eingefügt.
Im Gegensatz zu den anderen beiden Funktionen kann ich mich mit dieser überhaupt nicht anfreunden. Zuallererst einmal empfinde ich sie aus zwei Gründen als unintuitiv:
- Selbst mit viel Fantasie erkenne ich keinen logischen Zusammenhang zwischen einem Scrollrad und der Einfügen-Funktion. Eines ist zum Navigieren da, das Andere zum Bearbeiten.
-
Das ist einmal mehr eine Funktion für Scharfschützen. Wenn ich schon in einen Text etwas einfügen will, dann mache ich das in aller Regel über die Tastatur, weil ich da vorher mit den Pfeiltasten sicherstellen kann, dass der Cursor genau an der richtigen Position steht. Außerdem ist es ohnehin sehr wahrscheinlich, dass ich meine Hände vorwiegend auf der Tastatur habe, wenn ich mit Texten arbeite.
Und selbst wenn ich mit der Maus etwas einfügen wollte, wäre klassisches Kopieren in die Zwischenablage und Einfügen über das Kontextmenü der rechten Maustaste sicherer, weil ich dann zumindest vorab sehe, ob ich an die richtige Stelle geklickt habe.
Ein direktes Einfügen über die mittlere Maustaste erscheint mir bestenfalls dort praktisch, wo man noch ein komplett leeres Textfeld oder eine Stelle mit viel Weißraum vor sich hat. Eine separate Maustaste für so einen überspezifischen Anwendungsfall erscheint mir ein bisschen arg verschwenderisch.
Im Zusammenspiel mit anderen Funktionen der mittleren Maustaste kann dieses Einfügen sogar zum Datenschutz-Fiasko werden.
In der Vergangenheit hatte ich oft mit Kollegen auf einer Plattform namens ASANA zusammengearbeitet, um im Team Aufgaben und Informationen zu teilen. Dort hatte ich immer wieder geteilte Links bemerkt, die nicht mehr funktionierten, weil sie mittendrin durch ein paar Wörter unterbrochen waren, die dort nicht hingehörten.
Irgendwann hatte ich dann mit Erschrecken festgestellt, dass sich unter diesen Wörtern private Informationen von mir befanden, die definitiv nicht zum Teilen gedacht waren. Erst da wurde mir die Ursache dieses Problems bewusst: Ich hatte bei diversen Versuchen, Links in neuen Tabs zu öffnen, ungewollt Textschnipsel eingefügt und geteilt, die zufällig gerade irgendwo auf meinem PC markiert waren.

Solche Gefahren wären selbst dann nicht gebannt, wenn die mittlere Maustaste ausschließlich zum Text-Einfügen da wäre; schließlich ist und bleibt diese Taste primär ein Mausrad und beim Scrollen kann es genauso passieren, dass man versehentlich klickt und damit unbemerkt seine Kontodaten, Lieblings-Porno-Stars oder sonst was mit Gott und der Welt teilt.
Ich habe aus diesem Grund mittlerweile diese Einfüg-Funktion in meinem Browser deaktiviert und kann nur jedem raten, selbiges zu tun. Soweit ich es mitbekommen habe, ist die mittlere Taste zum Einfügen aber ohnehin nur bei Betriebssystemen abseits des Platzhirschen namens Windows üblich – daher sollten die meisten Computernutzer standardmäßig aus dem Schneider sein.

Traditionell oder doch lieber zeitgemäß?
Wenn man im Web Diskussionen darüber liest, wofür die mittlere Maustaste da sein sollte, dann trifft man oft auf eine Meinung, die meiner diametral gegenübersteht: Das Einfügen von Text sei genau das, wofür diese Maustaste primär stehe.
Vermutlich hat das historische Gründe. Laut einem Online-Artikel von »Coding Horror« wird die mittlere Maustaste in manchen Systemen schon seit den 80ern zum Einfügen verwendet und ist damit wohl ziemlich sicher der älteste der drei Anwendungsfälle.
Es ist gut möglich, dass das damals gut und sinnvoll war, aber man sollte berücksichtigen, dass sich die Welt seitdem ein wenig weiter gedreht hat. In den 80ern war die mittlere Maustaste noch kein Scrollrad, Bildschirme waren klein und hatten verhältnismäßig große und leicht zu treffende Schriftzeichen und das Web, in dem man durch ein kleines Hoppla seine intimsten Geheimnisse mit der ganzen Welt teilen kann, gab es auch noch nicht.

Scrollen und Tab-Verwaltung passen sicher besser zum heutigen Stand der Technik – und haben ein höheres Potential, dass Mausnutzer beim Entdecken der legendären Mitteltaste eine positive statt einer negativen Überraschung erleben.
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Gefallen dir meine Artikel und würdest du gerne mehr von mir lesen? Ich arbeite derzeit an einem Roman über einen sarkastischen Informatiker, der einen Chatbot entwickelt, und suche nach Personen, die das aktuelle Manuskript probelesen wollen.
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Bisherige Kommentare
MM
"Manches davon lässt sich traditionell auch mit Scrollbalken machen, aber seit diese Steuerelemente immer schmaler werden, braucht man eine Scharfschützen-Lizenz, um sie mit der Maus noch zuverlässig zu treffen."
Oder überhaupt permanent sichtbar sind. Nicht nur Microsoft sondern mittlerweile auch viele Linux-Distributionen haben als Voreinstellung die Scrollbalken (vormals auch Bildlaufleisten) als nur bei Bedarf aktiviert. Man kann sie zwar noch permanent einstellen, doch die Einfärbung (damit man sie überhaupt sehen kann) ist wie vor Windows 10-Zeiten nicht mehr ohne Fremdprogramme bzw Registry-Eingriffe möglich.
Ein Artikel über derartige "Verschlimmbesserungen" an sich praktischer Einstellungen würde sich mittlerweile dank der negativen Kreativität von Betriebssystem-Anbietern schon ausgehen.
Meines Wissens ist es nur in Linux konfigurierbar, dass die mittlere Maustaste als Einfügetaste dient.
Als Ex-ITler bewahrt man ja so gut wie alles auf (man könnte es ja vielleicht noch brauchen). Ich bin mir sicher, dass eine reine Zweitasten-Maus oder eine mit einem Scrollrad ohne Tastenfunktion noch irgendwo herumliegt. Mit PS/2-Anschluss oder noch archaischer mit DIN-Stecker.
Michael Treml (Seitenbetreiber)
Antwort an MM:
Ohja, standardmäßig ausgeblendete Scrollbalken nerven mich auch. Vor allem spart es in der Regel ja nicht einmal Platz, weil der Raum ja trotzdem freigehalten werden muss, damit beim Ein- und Ausblenden nicht alles herumzappelt.
Tony T
Mit dem Scrollrad meiner (Mini-) Maus kann ich nicht klicken. Früher hatte ich dafür eine Maus mit 5 (Oder warens 7?) Tasten, die hab ich u.a. mit Kopieren/Einfügen belegt.
Michael Treml (Seitenbetreiber)
Antwort an Tony T:
Ich war mir sicher, dass ich auch einmal eine Laptop-Maus ohne Scrollrad-Mitteltaste hatte, aber ich habe daheim alles auf den Kopf gestellt und konnte sie nicht finden. Ich war mir deshalb schon unsicher, ob ich mir das nur eingebildet hatte und vielleicht doch alle Scrollräder auch Tasten sind. Gut zu lesen, dass es so etwas wirklich gibt. :-)